Unverpackt! Auch große Supermärkte locken mit nackten Lebensmitteln

Unverpackt! Auch große Supermärkte locken mit nackten Lebensmitteln 1920 768 flustix

Trend

Vor wenigen Jahren noch waren „Unverpackt-Läden“ gefühlt eher etwas für Super-Ökos. Inzwischen sieht das anders aus. Manche Bioketten bieten schon zahlreiche Produkte wie Nüsse, Nudeln oder Müsli als unverpackte Ware an. Jetzt steigen auch die großen Supermärkte in den Trend mit ein. Die flustix-Redaktion stellt die neuen Unverpackt-Konzepte vor – und erklärt, wie die Kunden die nackte Ware nach Hause kriegen.

Vor fünf Jahren ernteten Orangen, die geschält und einzeln in Plastik verpackt in einem US-Supermarkt verkauft wurden, einen Mega-Shitstorm im Internet. Die Früchte markierten den Gipfelpunkt eines absurden Verpackungswahns. Inzwischen wollen immer mehr Kundinnen und Kunden den Öko-Irrsinn nicht mehr mitmachen. Unverpackt-Läden sind im Trend, aber Vielen ist das Sortiment dort zu klein, der Einkauf in mehreren Märkten zu aufwändig. Jetzt steigen die großen Handelsriesen in den Trend ein – und bauen Reis- oder Müslispender in ihren Filialen auf.

Unverpackt-Stationen. Dutzende Edeka-Märkte haben sie schon, viele tegut-Läden, acht Kaufland-Filialen und viele weitere Discounter: Mehr als 500 Supermärkte in Deutschland bieten ihren Kunden inzwischen lose Lebensmittel an, haben „Unverpackt-Stationen“ von ecoterra aufgebaut. Interessierte Kunden können sich aus einem Sortiment von bis zu 100 (Bio)-Nahrungsmitteln bedienen und die Lebensmittel am Dispender selber „zapfen“. Es gibt Reis, Nudeln, Bulgur und Quinoa, außerdem Nüsse, Linsen, Trockenfrüchte oder Müsli. Behälter werden gestellt – und können auch selbst mitgebracht werden.

Und so funktioniert’s: leeren Behälter wiegen, Tara-Etikett aufkleben, gewünschtes Produkt berührungsfrei einfüllen, Behälter wieder wiegen, Produktnummer eingeben, Taragewicht eingeben – fertig. Zum Schluss das Etikett aufkleben und zur Kasse gehen, so ähnlich wie beim Obsteinkauf mit Selbstbedienungswaage.

Der Angebotsumfang variiert von Supermarkt zu Supermarkt. Die ersten Kaufland-Filialen bieten zum Beispiel etwa 40 Lebensmittel aus dem Spender an. Tipp: Interessierte finden eine Liste mit allen Märkten hier.

Aldi. Der Discounter will ebenfalls Unverpackt-Artikel einführen. Der Handelsriese startete im vergangenen Jahr einen Testlauf in seiner Filiale in Ulverston in der englischen Provinz. Dort gibt es als lose Produkte: Basmati-Reis, braunen Reis, Penne-Nudeln und Fusili. Die Kunden können die Grundnahrungsmittel in recyclebare Papiertüten abfüllen. Wenn der Test erfolgreich läuft, will Aldi das Konzept auf andere Filialen ausweiten – und könnte jährlich mehr als 130 Tonnen Plastik aus den Geschäften entfernen.

Rewe. Das Unternehmen fokussiert sich auf „nacktes“ Bio-Obst und -Gemüse, startete 2019 einen Pilotversuch mit umweltfreundlicheren Verpackungen in 630 Märkten. Paprika gibt’s jetzt mit Klebeetikett statt Plastikverpackung, Fenchel oder Zucchini mit Banderole oder Süßkartoffeln mit Bio-Branding. Mit solchen neuen Verpackungsstrategien will REWE jährlich 290 Tonnen Müll vermeiden – 5800 Tonnen voll!

Lidl. Der Lebensmittel-Riese tüftelt mit Schweizer Forschern der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) gerade an einer besonders cleveren Unverpackt-Idee: an einer Verpackung zum Mitessen. Sie soll aus Trester von ausgepressten Frucht- und Gemüseschalen bestehen und eine Art Schutzhülle um Lebensmittel bilden. Diese Cellulose-Schicht soll auf Obst und Gemüse aufgetragen werden – und kann einfach mitgegessen werden. Bananen sollen damit sogar eine Woche länger haltbar und frisch bleiben. Schützt vor Plastikmüll und Food-Waste.

Unverpackt heißt sinnvoll anders verpackt

Den Reis fürs Abendessen können wir natürlich nicht lose aufs Kassenlaufband streuen und dann in der Hosentasche nach Hause tragen. Noch komplizierter wird’s bei Olivenöl oder Getränken. Deshalb bedeutet der neue „Unverpackt“-Trend nicht, Lebensmittel vollkommen lose einzukaufen, sondern sie sinnvoll anders einzukaufen und zu verpacken als in Wegwerfkunststoff. Das Grundprinzip kennen wir schon vom Einkauf in der Obst- und Gemüseabteilung, an der Fleischtheke, an der Salatbar oder am Backwaren-Regal.

Damit trägst du deine Unverpackt-Schätze nach Hause:

Papiertüte. Kann im Altpapier recycelt werden. Wer clever ist, steckt sie gefaltet in die Tasche und benutzt eine Tüte mehrfach.

Obsttüte. Die kleinen Henkeltüten von der Rolle sind zwar aus Plastik. Aber wenn man sie mehrfach benutzt, spart man ebenfalls Verpackungsmüll ein. Tipp: Etiketten auf der Tüte übereinander kleben – oder vorübergehend aufs Portemonnaie.

Mehrweg-Netze. Die kleinen weißen Beutel mit Zugband gibt es in fast allen Supermärkten zu kaufen. Tipp: Sie eignen sich nicht nur für Obst und Gemüse, sondern auch für Brot und Brötchen. Waschbar sind sie auch.

Lose. Zucchini, Fenchel oder Paprika werden oft nur mit einer Banderole „gebündelt“ oder mit einem Etikett oder Bio-Branding gekennzeichnet. Dabei wird die Kennzeichnung einfach in die Schale „gefräst“. Mehr Verpackung brauchen sie nicht.

Glasflaschen. Im Supermarkt gibt’s noch keine unverpackten Flüssigkeiten. Die Flaschen eignen sich aber für Milch-Automaten beim Bauern oder Läden mit Lebensmitteln zum Selberzapfen.

Glasbehälter oder Gläser. Ideal für den Einkauf an der Frischetheke oder an der Unverpackt-Station. Leider sind sie vergleichsweise schwer.

Plastikbehälter. Mehrwegbehälter sparen riesige Mengen Plastikmüll und sind leichter als Glasgefäße. Besonders Clevere nehmen gleich ihre beschrifteten Vorratsbehälter mit zum Einkauf und können sie gefüllt wieder in den Schrank stellen.

Kleine Verpackungsänderungen bringen manchmal ganz viel! Aldi konnte zum Beispiel schon 120 Tonnen Plastik dadurch einsparen, dass Bio-Tomaten jetzt in einer Schachtel aus nachwachsender Grasfaser verkauft werden. Und ecoterra startete nicht nur mit „Unverpackt“-Stationen durch, sondern bringt Linsen, Agavendicksaft, Nüsse oder Gummibärchen jetzt auch in Pfandgläsern in den Handel. Wenn die Gläser leergefuttert sind, gibt man sie einfach wieder ab – wie beim Joghurt aus dem Glas. Kaufland bietet in den ersten zehn Testfilialen schon 90 Bioprodukte im Pfandglas an.

Doch der neue Trend hilft nicht nur bei der Vermeidung von Plastikmüll. Es gibt drei weitere Vorteile.

Die vier Trümpfe des Unverpackt-Trends

1. Plastik reduzieren. Mit neuen Verpackungsideen können wir viele Tonnen Plastikverpackungen einsparen.

2. Gesundheit schützen. Ohne Verpackung können keine Schadstoffe in Lebensmittel gelangen.

3. Verschwendung stoppen. Wenn wir lose Ware einkaufen, nehmen wir nur so viel, wie wir brauchen.

4. Geld sparen. Wir zahlen nicht mehr für die Produktion von Verpackungen und deren Entsorgung, sparen uns Geld für Produkte in Großpackungen, die wir dann wegwerfen und neu kaufen müssen.

Viele Kunden sind längst bereit für den Plastik-Stopp beim Einkauf. Aber bislang war es zu umständlich. Für eine Verbraucherstudie von Price, Waterhouse & Co. (PwC) wurden 1000 Kundinnen und Kunden gefragt: „Wenn es die Möglichkeit gäbe, Lebensmittel verpackungsfrei zu kaufen, würden Sie diese nutzen?“ Ergebnis: Acht von zehn Kunden (82 Prozent) waren grundsätzlich bereit, beim Lebensmittel-Einkauf auf Verpackungen zu verzichten. Allerdings wünschten sich 63 Prozent, dass es mehr verpackungsfreie Lebensmittel in normalen Supermärkten gibt. Jeder Dritte (35 Prozent) würde sogar einen Supermarkt bevorzugen, der ausschließlich verpackungsfreie Lebensmittel anbietet.

Jetzt geht’s endlich los im Handel – und hoffentlich werden viele Supermärkte den Unverpackt-Pionieren folgen.

FAQs für den ersten Unverpackt-Einkauf

Kann ich die Mehrwegnetze auch in einem „fremden“ Supermarkt benutzen?

Ja, aber… Fast alle Supermärkte bieten inzwischen eigene Mehrwegnetze an. Die Polyesternetze wiegen zwischen 8 und 22 Gramm, Baumwoll-Varianten sogar über 50 Gramm. Obwohl Kunden nur die Ware bezahlen müssen, wird das Netz oft mitgewogen bzw. das Gewicht beim Wiegen an der Kasse nicht korrekt abgezogen. Tipp: Bei Selbstbedienungswaagen die Ware pur wiegen und erst dann ins Netz stecken. Bei Ware mit Stückpreisen können die Netze natürlich unbesorgt benutzt werden.

Sind eigene Gefäße an der Frischetheke oder beim Coffee-to-go eine Gesundheitsgefahr?

Nein. Selbst in Zeiten von Corona ist das Befüllen mitgebrachter Gefäße möglich und stellt laut Lebensmittelverband kein besonderes Risiko dar. „Beachtet man die grundlegenden Hygieneregeln, spricht nach heutigem Wissensstand nichts dagegen, auch weiterhin in eigenen Gefäßen einzukaufen“, erklärt Anja Schwengel-Exner, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Bayern. Dabei trägt der Kunde die Verantwortung dafür, dass das mitgebrachte Gefäß sauber und für das jeweilige Lebensmittel oder Getränk geeignet ist. Schwierig: Beim Befüllen der Behälter dürfen Personal und der Bereich hinter der Theke nicht mit dem Kundengeschirr in Berührung kommen. Viele Märkte benutzen Tablets als Einwegunterlage.

Kann ich darauf bestehen, meinen mitgebrachten Behälter für Fleisch oder Fertiggerichte zu benutzen?

Nein, nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen besteht kein Rechtsanspruch darauf, eine mitgebrachte Verpackung zu benutzen. Auch die örtliche Lebensmittelkontrolle darf Betrieben das Wiederbefüllen von Gefäßen verbieten.

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