Die SUPD hat nach vier Jahren und vier Monaten Praxis einen Punkt erreicht, an dem Unsicherheit Innovationen ausbremst. Jetzt ist die Chance, die Richtlinie wissenschaftlich zu schärfen – und Europa endlich einen klaren, praxistauglichen Polymergrenzwert zu geben.
Warum Europa jetzt einen klaren Polymergrenzwert braucht – und warum die SUPD ohne ihn nicht funktioniert
Die Einwegkunststoffrichtlinie (SUPD, EU 2019/904) nähert sich einem Wendepunkt. Offiziell ist die Evaluierung erst für 2027 vorgesehen, doch inoffiziell arbeitet die Kommission schon seit Monaten intensiv an einer Überarbeitung. Und das ist dringend notwendig.
Denn in der Praxis zeigt sich seit der Einführung im Juli 2021 deutlich: Mit dem bisherigen binären Kunststoffbegriff – „enthält Kunststoff = SUP“ – lässt sich ein moderner, innovationsgetriebener Markt nicht steuern. Die Folge sind Fehlklassifikationen, ein Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten und ein Klima der Unsicherheit, das ausgerechnet jene hemmt, die nachhaltige Lösungen entwickeln.
Fakt ist: Marktanalysen belegen, dass der Verbrauch von Einwegverpackungen wie Pappbechern, Schalen oder Tellern seit 2021 nicht sinkt. Die SUPD reguliert diese Produkte also nicht aus dem Markt – sie reguliert sie lediglich komplexer.
Innovation trifft auf einen regulatorischen Flickenteppich
Während klassische PE-beschichtete Becher eindeutig unter die SUPD fallen, sieht die Lage bei modernen, stark polymerreduzierten oder nahezu polymerfreien Systemen völlig anders aus:
- Einige Mitgliedstaaten erkennen diese Innovationen an und stufen sie nicht als SUP ein.
- Andere behandeln identische Produkte weiterhin als SUP – trotz geringer Polymeranteile und guter Recyclingfähigkeit im Papierstrom.
Das Ergebnis: Technologischer Fortschritt prallt auf einen europäischen Flickenteppich, der umweltfreundliche Innovationen eher bremst als fördert.
In vielen Gesprächen der vergangenen Monate höre ich zudem von Unternehmen immer häufiger denselben Punkt: Sie möchten innovative, polymerreduzierte Materialien eigentlich weiter voranbringen – technologisch wie strategisch. Gleichzeitig äußern sie offen Zweifel, ob sich dieser Weg unter den aktuellen SUPD-Rahmenbedingungen wirtschaftlich überhaupt lohnt. Mehrfach wurde mir berichtet, dass trotz besserer Recyclingfähigkeit und geringerer Umweltwirkung am Ende doch wieder klassische PE-Beschichtungen in Betracht gezogen werden. Der Grund ist einfach: Wenn ein teureres, innovatives Material regulatorisch unklar bleibt und dennoch potenziell dieselben oder höhere Kosten verursacht wie die konventionelle Alternative, wird Innovation zur Risikoposition.
Wissenschaft, NGOs, Industrie und neue EU-Regularien: selten so einig
Bemerkenswert ist, wie breit der Konsens inzwischen ist:
- Umweltorganisationen wie WWF oder Rethink Plastic
- wissenschaftliche Institute
- große Teile der verarbeitenden Industrie
- und die neue PPWR-Regulierung
gehen alle in die gleiche Richtung: Ein quantitativer, wissenschaftlich definierter Polymergrenzwert ist notwendig.
Die Papierwissenschaft liefert hierfür eine klare Grundlage:
Für funktionale Barrieren sind rund 1,1 % Polymeranteil technisch notwendig. Moderne Materialsysteme erreichen diese Werte heute bereits – mit hoher Recyclingfähigkeit und stabiler Performance.
Die PPWR zeigt, wohin Europa steuert
Mit der 95/5-Regel (mindestens 95 % Faseranteil) setzt die PPWR ein deutliches Signal im Verpackungs-Bereich, folgt technischen Möglichkeiten beim Recycling faserbasierter Materialien. Europa bewegt sich weg von binären Materialdefinitionen und hin zu quantitativen, nachvollziehbaren Kriterien.
Die SUPD dagegen operiert weiterhin im Schwarz-Weiß-Modus – ein Ansatz, der in der Realität des Marktes nicht mehr funktioniert und spätestens 2027 unhaltbar sein wird.
Mitgliedstaaten im Vergleich: Warum 0,0 % nicht funktionieren
Niederlande: Das politische Ideal der vollständigen Polymerfreiheit (0,0 %) erwies sich in der Umsetzung als technisch nicht tragfähig. Ein Becher ohne minimale Funktionsschicht ist kein Becher. Die Vorgaben werden inzwischen wieder angepasst.
Frankreich: Die geplanten 0,1-%-Grenzen klingen ambitioniert, sind aber analytisch nicht verlässlich nachweisbar, solange Binder und Additive erlaubt sind.
Italien: Ein 10-%-Wert steht im starken Kontrast zu den Nullansätzen anderer Länder und verstärkt die europäische Uneinheitlichkeit.
Deutschland: Klare Regelungen für klassische Beschichtungen stehen unklaren Einordnungen für moderne Beschichtungssysteme gegenüber.
Polen: Zu ambitioniert strenge Vorgaben ohne valide analytische Methodik führen zu Vollzugsproblemen, einem sogar regionalen Flickenteppich und wachsender Rechtsunsicherheit.
Europa ist bei der SUPD bereits heute stärker fragmentiert als je zuvor.
Fazit: Ein klarer Polymergrenzwert ist der einzige Weg aus dem Stillstand
Europa braucht einen harmonisierten, messbaren und vollziehbaren Schwellenwert für polymerhaltige faserbasierte Produkte im SUPD-Kontext. Ein Grenzwert knapp oberhalb des wissenschaftlichen Mindestwerts – also in einem Bereich über 1,1 % Polymer-Massengewichtsanteil – würde:
- Innovation ermöglichen statt verhindern
- die SUPD praxistauglich machen
- Rechts- und Planungssicherheit schaffen
- Behörden im Vollzug entlasten
- Investitionen in nachhaltige Materialsysteme fördern
- und die Umweltziele der Richtlinie tatsächlich unterstützen
- das wertvolle Material in den Kreislauf zurückspülen
Solange diese Harmonisierung fehlt, bleibt Unternehmen nur ein Weg:
Testen. Dokumentieren. Zertifizieren.
Nur damit lassen sich moderne, polymerreduzierte Systeme verlässlich von klassischen SUP-Produkten unterscheiden – und Unternehmen vor den Folgen eines widersprüchlichen Rechtsrahmens schützen.
Europa steht an einem entscheidenden Punkt.
Die Überarbeitung der SUPD wird darüber entscheiden, ob sie zum Motor nachhaltiger Innovationen wird – oder ein Bremsklotz bleibt.
Über flustix
Die 2017 in Berlin gegründete Organisation bietet sechs unterschiedliche flustix-Siegel: Die flustix LESS PLASTICS – MIN. xx% PLASTIC-FREE-Siegel zeichnen in Zusammenarbeit mit anerkannten Prüflaboren und akkreditierten Zertifizierungsstellen das Gesamtprodukt sowie jeweils die Verpackung oder das Produkt aus. Produkte, die auf den Einsatz von Mikroplastik verzichten, werden mit dem Siegel PLASTIKFREI – Produktinhalt Mikroplastikfrei transparent gekennzeichnet. Das Siegel flustix RECYCLED zertifiziert Rezyklate, Halbzeuge und Produkte mit Rezyklat-Anteil aus u. a. Plastik, Metall & Glas. flustix RECYCLABLE kommuniziert unabhängig die Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Die flustix-Siegel dienen als Orientierungshilfe für Verbraucher und unterstützen somit Unternehmen in einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensstrategie und sicherer Nachhaltigkeitskommunikation.

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