Die Welt, nicht nur Europa, erstickt im Plastikmüll. Schlagzeilen über die Rekord-Verschmutzung unseres Planeten und ihre Folgen für die Gesundheit sind derzeit täglich in den Medien vertreten. Verbraucher sind zunehmend für das Thema sensibilisiert und die Politik hat auf europäischer Ebene reagiert. Lassen wir also die schwerwiegende Erörterung des Problems für einen Moment beiseite und schauen uns die vorgeschlagene Plastikstrategie der Europäischen Kommission genauer an: Wie genau sieht die EU-Strategie für Plastik aus? Sollen Kunststoffe vermieden werden oder die Kreislaufwirtschaft gefördert? Was sind die Arbeitsbereiche, wer muss sie umsetzen – und wie realistisch ist das Ganze?
In der europäischen Plastikindustrie sind derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen beschäftigt. Sie setzen jährlich 350 Milliarden Euro um, was 18 Prozent der globalen Plastikproduktion ausmacht (Quelle: Eurobarometer). Das produzierte Plastik wird zu fast vierzig Prozent für Verpackungen verwendet – und nur dreißig Prozent des produzierten Kunststoffs wird recycelt. Wichtig dabei ist, dass sich der Mammutanteil des Plastikkonsums auf alltägliche Verbrauchsgüter wie Verpackungen beschränkt. Nicht etwa auf Bereiche wie Elektronik, Automobil oder Bauindustrie (Quelle: EU-Kommission). Eine einfache Rechnung also: Wir produzieren mehr Einweg-Plastik, als wir recyceln, und das nicht nur europaweit, sondern global. Die Lösung ist vermeintlich einfach: mehr Recycling, mehr Kreislaufwirtschaft. Eine Strategie, die bereits 2015 der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, im Rahmen des Pariser Abkommens 2015 und des „2030 Sustainable Development Goals“ vorgestellt hat.
Zahlen und Fakten
- 8 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich in der EU produziert und es wird mehr Einweg-Plastik denn je angeboten und somit benutzt. (Quelle: Plastics Europe)
- Das europäische Research Center hat festgestellt, dass allein die Hälfte des Mülls an den Stränden aus Einweg-Plastik besteht.
- 74% der europäischen Bevölkerung hat beim Benutzen von Produkten mit Plastikanteil Sorge um ihre Gesundheit hat. 87% sind besorgt um die Folgen für die Umwelt. Das hat eine Umfrage von Eurobarometer ergeben.
Die EU-Kommission hat mit der Plastikstrategie nun endlich eine legislative Grundlage für die Umsetzung des Plans von 2015 geschaffen. Die Strategie ist zwar ein deutlicher Schritt nach vorne, aber die Umsetzung nicht verbindlich: Zunächst müssen die EU-Mitgliedstaaten die Gesetzgebung in deren nationales wie auch regionales Recht integrieren. Auch die entsprechenden Wirschafts-Sektoren müssen sich technisch wie operationell auf die Anforderungen der Kreislaufwirtschaft einstellen. Denn die Kommission hofft durch die Förderung einer neuen europaweiten Kreislaufwirtschaft bis 2030 auf 200.000 neue Jobs in der Abfallindustrie.
In der dringenden Frage um Mikro-Kunststoffe, die immer noch viel zu häufig in Kosmetika und Reinigungsmitteln auftauchen, ist die EU leider wenig konkret. Sie sprach kein klares Verbot aus, sondern hat nur eine Einschränkung beschlossen. Ironischerweise hat ausgerechnet das Exit-Land Großbritannien bereits ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika gesetzlich verankert, während Frankreich noch diskutiert und Deutschland weiter gutgläubig auf einen freiwilligen Mikroplastik-Verzicht der Kosmetik-Industrie setzt. Ein weiteres Beispiel dafür, wie schwierig sich die Umsetzung europäischen Rechts gestaltet und wie sehr gerade die deutsche Politik den Wirtschaftslobbys gehorcht.
Reduktion von Einwegfalschen durch sauberes Leitungswasser?
Etwas schwammig ist die Strategie auch in der Frage um den Zugang zu trinkbarem Leitungswasser für EU-Bürger. In dem Plastikplan wird nicht konkret auf die Trinkwasserbeschaffung eingegangen und auch keinerlei Beweise gesammelt, ob sauberes Leitungswasser überhaupt eine Reduktion des Einwegflaschenkonsums beim Verbraucher bewirkt. Natürlich ist sauberes Trinkwasser unabhängig davon ein wichtiges Ziel. In diesem Zusammenhang wurde leider die Gelegenheit verpasst, ein EU-weit verpflichtendes Pfandsystem für Getränkeflaschen zu beschließen.
Außerdem müsste dem Verbraucher doch eigentlich eine klare Orientierung geboten werden, wenn es um den Einkauf geht. Die ließe sich durch eine gesetzlich zwingende Kennzeichnung mit Produktsiegeln, wie es sie schon in den Richtlinien für Nahrungsmittel gibt, auch gesamteuropäisch realisieren. Die EU-Kommission möchte aber nur Anreize für die Kennzeichnung von Kunststoff schaffen und setzt sie leider nicht als zwingend für Hersteller durch. Auch der Vorschlag einer Steuer für Plastikverpackungen und -produkte wurde nicht in die Strategie eingebunden oder diskutiert. Obwohl sich eine solche Steuer auch durchaus für Hersteller denken ließe und so potentiell die Verpackungsautomatisierung mit Einwegplastik streng reguliert werden könnte.
Die EU-Plastikstrategie konkret
Die Europäische Kommission möchte..
- bis 2030 jede Art von Plastikverpackung recycelbar machen.
- langlebige und recycelbare Produkte fördern.
- in eine effizientere Sammlungs-, Trennung- und Recyclinginfrastruktur investieren.
- die Nachweisbarkeit von verwendeten Werkstoffen auf Seiten der Produktion verbessern, um einen saubereren, sicheren Werkstoffkreislauf zu gewährleisten.
- einheitliche Qualitätsstandards für Plastikrecycling schaffen.
- eine grüne, öffentliche Vergabeverordnung für das Integrieren von Rezyklaten und das Einrichten von Pfandsystemen schaffen.
- finanzielle Förderungen für Forschung und innovative Projekte vergeben, um Unternehmen zu helfen mehr zu recyceln.
Die EU schreibt in ihrem Strategiepapier ganz treffend: „It all starts with design.“ Und adressiert damit nicht nur die Materialforschung, sondern auch die Hersteller, die Geld in umweltbewusstere Produkt- und Verpackungsdesigns stecken sollen, anstatt günstig mit Einweg-Plastik automatisiert zu produzieren. Nicht nur das – bis 2030 sollen alle Plastikverpackungen recycelbar sein. Ein sehr grober Ansatz, der in der Umsetzung komplex ist. „Hier gilt es, auch endlich mal die Verbraucher nicht weiter zu irritieren: ‚Recyclebar‘ sollte künftig bedeuten, dass neue Produkte aus alten gemacht werden können. ‚Recyclebar‘ darf nicht bedeuten, dass das Verbrennen der Wertstoffe eine Wiederverwertung darstellt, was leider heute noch bei mehr als der Hälfte aller Kunststoffabfälle der Fall ist“, moniert Malte Biss von FLUSTIX.
Die EU verspricht in ihrer Plastikstrategie auch Fördermittel für klare Ansätze. Bis dato hat die EU bereits 250 Millionen Euro für die Forschung in diesem Bereich freigegeben – zusätzliche 100 Millionen werden bis 2020 in die Entwicklung von umweltfreundlicheren Werkstoffen gesteckt, sowie dem Beseitigen von gefährlichen Substanzen und Kontaminationen in Rezyklaten.
Wohin fließt das Geld?
9 Millionen Euro gehen an das Projekt CIRC-PACK, einem Projekt zur Entwicklung von kompostierbarem Plastik. 3,7 Millionen Euro gehen an das Unternehmen CLEAN SEA, das sich auf die Beseitigung und Prävention von Meeresverschmutzung spezialisiert hat und die EU zukünftig hinsichtlich konkreter Säuberungspolitiken beraten soll. Darüber hinaus soll RES URBIS mit 3,3 Millionen Euro unterstützt werden, ein Projekt, das aus städtischem Biomüll Biokunststoffe herstellen möchte. Sowie FORCE, ein Kooperationsprojekt für Städte, in dem Weichplastik aus dem Produktions- und privatem Bereich recycelt werden soll. Die EU vergab im Rahmen des Juncker-Investment-Plans strategisch relevante Kredite an Green Fiber International SA und initiierte Strukturfonds für ein effizienteres Abfallmanagement und das Erhöhen eigener europäischer Recyclingkapazitäten.
Auch die EU hat damit eingesehen, dass die Fertigung von Neuplastik, trotz noch so starker Öl-Lobby, pauschal ökonomisch und klimatechnisch nicht mehr zu vertreten ist. Junckers Statement dazu ist ein durchaus goldener Moment für die EU:
„Europe must ensure we make our planet great again. It is the shared heritage of all humanity“
− EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der State of the Union Address, 13. September 2017
Ein vergleichsweise großer Teil des Strategiepapiers ist glücklicherweise der Meeresverschmutzung gewidmet. Mehr noch als in der erstmals 2015 vorgeschlagenen Strategie bezieht sich das Papier von 2017 auf die internationalen Normen des MARPOL -Abkommens. Im Rahmen dieses seit 1973 bestehenden multilateralen Bündnisses soll zukünftig eine effizientere Aufnahme von Verpackungsmüll im Hafentransport gewährleistet werden. 7 Millionen jährlich gehen an die Organisation, die Hafen, Schiffe und jeweilige Kompetenzen im Bereich Hafensicherung und -reinigung unterstützen soll.
Was macht die Kommission noch?
Die Europäische Kommission sieht ihr weiteres Handeln in multilateralen Aktionen, um die Meeresverschmutzung im Ost- und Südost-asiatischem Bereich einzudämmen, und in der Unterstützung der Barcelona Convention im Mittelmeerraum. In multilateralen Abkommen, wie den Vereinten Nationen, G7 und G20, wird die EU die Plastikstrategie weiter voranbringen. Diplomatisch gilt es ebenfalls, die Strategie umzusetzen und bilateral, regional und thematisch externe Investitionspläne zu erstellen, die auf die Plastikmüllbeseitigung aus Flüssen und Meeren abzielen.
In Abstimmung mit den relevanten Sektoren sollen idealerweise gut konzipierte Pfandsysteme und Recyclingwege entstehen. Nationale, regionale und lokale Behörden werden ermutigt, die ihr zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Instrumente besser zu nutzen. Insbesondere die Kosten für die Deponierung und Verbrennung zu erhöhen und im Gegenzug die Wiederverwertung sowie die Vermeidung von Kunststoffabfällen zu fördern. Mit ihrem Förderprogramm ‚Horizont 2020’ stellt die EU ein gutes Tool zur Förderung nationaler Aktionen in Aussicht.
Und die Industrie?
Die Industrie wird vorerst nur zur „freiwilligen Verpflichtung“, zur Unterstützung der Ziele der Strategie aufgerufen. Ob und wie die Industrie Chancen in dem von der EU vorgeschlagenen Wandel sieht, bleibt abzuwarten. Einige Fragen in diesem Zusammenhang bleiben offen:
- Wird es Förderungen für das Umstellen von Wertschöpfungsketten auf plastikfreie Alternativen oder Rezyklate geben?
- Wie kann die Innovation aus der Forschung, die hier monetär großzügig unterstützt werden soll, auch in die Wirtschaft einfließen?
- Und wie sollen bestehende Produktionsprozesse umgewandelt werden?
- Wir alle kennen sie, die großartigen neuen Innovationsansätze. Warum dauert es so lange, bis die Wirtschaft diese in ihre Produktionen einfließen lassen?
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