Haltung mit Biss
Stellen Sie sich vor, Sie entdecken auf dem Dachboden Ihrer Großeltern ein wertvolles Gemälde. Was machen Sie damit? Ganz einfach. Weil es völlig eingestaubt ist, von Spinnenweben überzogen und an den Ecken des Rahmens einige Risse hat, bringen Sie es auf den Müll und zahlen sogar noch Geld dafür, damit es schnell in die Müllpresse kommt.
Klingt bekloppt, oder?
Das Dachboden-Beispiel beschreibt ziemlich treffend die Effizienz der Verwertungskette für gewerblichen Plastikmüll in Deutschland. Statt konsequent in regionale Recycling-Infrastruktur zu investieren, exportieren wir den Abfall, belasten damit das Klima, schädigen die Umwelt und schmeißen nebenher auch noch Geld, Wertstoffe und damit auch Rohstoff-Unabhängigkeit aus dem Fenster. Denn Kunststoffabfälle sind wertvoll. Sie sind die Basis für eine ökologisch-orientierte und klimafreundliche Kreislaufwirtschaft und somit leichtester Zugang zu immer teurer werdenden Rohstoffen.
Die Problematik ist seit vielen Jahren bekannt: Deutschland produziert gewaltige Mengen an Kunststoffabfällen und kann oder sogar will diese nicht verwerten, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist. Also wird der Müll verscherbelt. An Entsorger in anderen Ländern. China und Malaysia waren lange Zeit die größten Abnehmer. Der Müll wird in den aufnehmenden Ländern viel zu oft nicht ordnungsgemäß recycelt, sondern teilweise illegal entsorgt. Auf Müllhalden, in Wäldern, wir haben die Bilder alle noch im Kopf, oder auch einfach im Meer. Die katastrophalen Auswirkungen auf Klima und Natur brauchen wir hier nicht zu betonen. Jeder einzelne Joghurtbecher im Meer ist ein Mosaikstein des ökologischen Todesurteils für unseren Planeten, das begreifen auch Klimakatastrophen-Leugner und Umwelt-Rüpel.
Trotzdem passieren die meisten Exporte in der Regel ordnungsgemäß, mit behördlicher Genehmigung. Noch viel skurriler: Ein Container mit Kunststoff, der beispielsweise in die Türkei oder nach Malaysia gebracht wird, erhöht die deutsche Recyclingquote. Wie kann es sein, dass exportierter Plastikmüll hier in die Quote einfließt, während er auf der anderen Seite der Welt auch gerne mal im Ozean landet? Dr. Michael Jedelhauser, Referent für Kreislaufwirtschaft der Umweltschutzorganisation Nabu, schreibt dazu: „Die Nachweis- und Kontrollsysteme sowie die Recyclinginfrastruktur in den Zielländern sind oftmals mangelhaft, so dass nur ein Teil der Abfälle tatsächlich recycelt wird. Der Rest wird unter niedrigen Umweltstandards verbrannt, deponiert oder wild entsorgt.“
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kündigte Anfang des Jahres an, sich für ein konsequentes Exportverbot auf EU-Ebene einzusetzen. So ein Verbot unterstützen wir von flustix, denn Verschärfungen und auch die Restriktionen in Ländern wie China haben bereits dazu geführt, dass die Exporte zuletzt deutlich zurückgingen.
Der Fehler liegt jedoch schon in der Wertschöpfungskette. Michael Thews, Kreislaufwirtschafts-Experte der SPD, fordert: „Wir müssen mehr in Kreisläufen denken.“ Die Unternehmen stünden in der Pflicht, ihre Produkte so zu planen, dass der „Kreislauf schon mitgedacht wird“. Laut Thews Berechnungen arbeiten in der Kreislaufwirtschaft in Deutschland inzwischen rund 300.000 Menschen, der Umsatz der Branche liegt bei beachtlichen 76 Milliarden Euro.
Hier sind unsere Wertstoffe aus der Recyclingtonne sehr viel besser aufgehoben als auf einer illegalen Abfalldeponie im EU-Ausland. Genau wie das wertvolle Gemälde vom Dachboden nach einer Aufbereitung wieder als Exponat zum Einsatz kommt – und noch viele Generation erfreuen kann.