Klimakrise: Warum gucken wir weg, obwohl wir die Katastrophe noch verhindern können?

Klimakrise: Warum gucken wir weg, obwohl wir die Katastrophe noch verhindern können? 1920 768 flustix

Der Netflix-Film „Don’t Look Up” polarisiert. Sieht man sich die verschiedenen Bewertungsportale im Netz an, fällt auf, dass es nur wenige differenzierte Bewertungen gibt – dafür ist die Zahl der Top- sowie der Flop-Bewertungen jeweils hoch. Ein Phänomen, das auch den Zustand unserer Gesellschaft beschreibt. Während die einen nichts unversucht lassen, um der Klimakatastrophe entgegenzutreten, lehnen andere jede Maßnahme konsequent ab. Der Graben zwischen diesen beiden Gruppen wird tiefer.

Die Katastrophe leugnen, damit man sich nicht ändern muss

„Don’t Look Up“ erzählt diese Geschichte. Ein Meteorit saust auf die Erde zu. Wissenschaftler entdecken ihn, warnen die Menschheit, doch die entscheidet sich zu großen Teilen, lieber nicht mehr in den Himmel zu blicken, statt aktiv etwas gegen den Einschlag zu unternehmen. Am Ende steht der Weltuntergang.

Der Graslutscher erklärt, wie es konstruktiv geht

Soweit muss es nicht kommen, sagt Jan Hegenberg, einer der erfolgreichsten deutschen Nachhaltigkeits-Influencer, in sozialen Netzwerken besser bekannt als „Der Graslutscher“. In seinem aktuellen Buch „Weltuntergang fällt aus“ (wochenlang in der SPIEGEL-Bestseller-Liste) führt er auf, warum wir gar nicht so weit von Lösungen entfernt sind, wie wir manchmal glauben – vor allem dank des technischen Fortschritts. Hegenberg setzt auf Perspektivwechsel, gepaart mit Optimismus: „In Deutschland ist man sehr gut darin, erst mal zu diskutieren, was alles schiefgehen könnte, anstatt sich vorzustellen, wie schön es wäre, wenn es funktioniert. Mir fällt keine große Errungenschaft ein, die von Anfang an 100 Prozent perfekt war, und Nachjustieren wird sicher auch bei der Energiewende nötig sein, aber vielleicht probieren wir es überhaupt erst mal.“

Zukunftsforscher Horx empfiehlt: Ein Blick zurück aus der Zukunft

Einen Perspektivwechsel empfiehlt auch der Frankfurter Zukunftsforscher Matthias Horx. Sein Zukunftsinstitut veröffentlicht jährlich einen Zukunftsreport. Die Ausgabe 2022 blickt ausnahmsweise nicht nach vorn, sondern aus der Zukunft zurück in die Gegenwart. Horx nimmt uns mit in das Jahr 2050, von dort aus sieht man, was alles funktioniert: Erneuerbare Energien, grüner Konsum und nachhaltige Technologien. „So schaffen wir es, damit aufzuhören, die Probleme und Unmöglichkeiten zu bejammern“, so Horx. „Wir verabschieden uns von der hypnotischen Katastrophenangst. Und wir beginnen, konstruktiv aus der Zukunft heraus zu denken – und zu handeln.“ Horx erklärt: Es gibt keinen Normalzustand unserer Erde. Und damit auch keinen Zustand, den wir erhalten könnten. Natur, so Horx, bedeutet Veränderung.

Verdrängung ist ein normales Verhalten

Eine Organisation, deren Kernkompetenz es ist, den Umgang der Menschen mit multiplen Krisen zu erforschen und nach Lösungen zu suchen, ist „Psychologists for Future“. Die Psychotherapeuti:innen und Psycholog:innen wollen helfen, den emotionalen Umgang und das konstruktive Handeln mit der Krise zu fördern. Felix Peter, Sprecher der Organisation, erklärt in einem Interview mit dem Schweizer Rundfunk, warum Menschen weggucken. Ein wesentlicher Aspekt sei die Angst. „Sie ist quasi unser Bedrohungsmelder“, sagt Felix Peter, „ohne Angst würden wir uns mehr verletzen und früher sterben. Leider funktioniert Angst bei Menschen oftmals so, dass nur kurzfristige Bedrohungen eine positive Wirkung auf uns haben und uns Energie verleihen. Bei langfristigen Risiken, die keine Betroffenheit auslösen oder zu groß sind, funktioniert das nicht so gut. Dort sind wir eher in der Verdrängung.“

Wir müssen lernen, mit dem Krisenmodus zu leben

Verdrängung an sich sei nicht immer etwas Schlechtes, so der Psychologe, „wir verdrängen den ganzen Tag, um mit den komplexen Anforderungen im Alltag zurechtzukommen. Ansonsten würde unser Gehirn überlastet. Bei längerfristigen Bedrohungen ist Ignorieren allerdings nicht wirkungsvoll.“ Deshalb, so Peter, „schaffen wir es auf dieser Ebene immer wieder, Warnungen aus Wissenschaft, Politik oder Zivilgesellschaft zu verdrängen.“ Er warnt vor einer „Krisenpermanenz“: „Die meisten von uns werden es nicht mehr erleben, wie wir aus dem Krisenmodus wieder herauskommen.“ Entsprechend müssen wir lernen, damit zu leben, ohne die Bedrohung konsequent zu verdrängen.

Politiker:innen setzen auf Verzögerungs-Taktik

Nicht einfacher macht es, dass auch in der Politik kein konstruktiver Umgang mit der Klimakrise vorherrscht. Anita Habel, Psychologin und ebenfalls bei „Psychologists for Future“ aktiv, erklärt das Phänomen in einem Interview mit den Riffreportern: „Die Aufmerksamkeit wird auf Maßnahmen gerichtet, die unzulänglich sind. Gleichzeitig wird der Eindruck erzeugt, dass sie ausreichend und deshalb größere Veränderungen nicht notwendig seien. Ganz zentral ist hier der Fokus auf technische Lösungen: Wir müssten nur die richtigen Technologien entwickeln und effizienter werden – und dann sei alles super. Dem ist nicht so. Diese Verzögerungsargumentation ist bei vielen Politiker:innen zu beobachten.“

Expert:innen empfehlen ein schönes Bild als Vision

So wie Influencer Hegenberg und Zukunftsforscher Horx empfiehlt auch die Psychologin Habel einen Perspektivwechsel, um Menschen zu motivieren, sich zu engagieren: „Wir brauchen eine positive Vision: Wie könnte diese neue nachhaltige Welt aussehen, in der wir leben wollen? Wie können wir sie uns besser vorstellen? Statt immer die negativen Folgen und den Verzicht zu betonen, müssen wir ein schönes Bild finden, das uns antreibt“, erklärt Anita Habel in einem Interview auf brigitte.de.

Verhaltensforscherin sieht Politik und Wirtschaft in der Verantwortung

Wie lassen sich mehr Menschen für ein nachhaltiges Leben begeistern? Mit dem Thema beschäftigt sich die US-Psychologin Wendy Wood von der University of Southern California in den USA. In der ZEIT appelliert sie an Politik und Wirtschaft, die Rahmenbedingungen zu verändern: „In den USA sind es zum großen Teil wirtschaftliche Interessen, die uns dazu bringen, weiter ungesunde Dinge zu essen oder umweltschädliche Autos zu fahren, weil es uns leicht gemacht wird und wenig kostet. Es fehlt am politischen Willen, die Umwelt vieler Menschen so zu gestalten, dass es ihnen leicht fällt, sich gesünder zu ernähren und umweltfreundlicher zu leben.“ Bis dieser politische Wille da ist, so Wood, hängt es eben an uns selbst etwas zu verändern – damit das böse Ende aus dem Netflix-Movie „Don’t Look Up“ nicht doch noch Realität wird.

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