Genial oder abstoßend? Ein Start-up aus den Niederlanden entwickelt ein neues Verfahren: Aus Menschenhaar-Abfällen wird Garn und Wolle. Das Material gilt als flexibel, langlebig und wärmeisolierend. Aber ist das nicht eklig?
In einem Report des Nachhaltigkeits-Magazins enorm erklärt Start-Up-Gründerin Zsofia Koller: „Wir denken nicht darüber nach, wie es Schafen bei der Schur geht, wie schmutzig und grob das abläuft, ekeln uns aber vor abgeschnittenem Kopfhaar. Gleichzeitig tragen wir Wimpern und Extensions aus Echthaar.“ Kollar wolle die Wahrnehmung des Materials verändern. Denn Menschenhaar sei eine Keratinfaser, genau wie Wolle, berichtet das Magazin.
65,5 Millionen Kilogramm Haare landen im Müll
Klingt nachvollziehbar. Aber ob das reicht, um die Akzeptanz von Menschenhaar als Rohstoff für die Textilherstellung zu nutzen? Die Erfinderin Zsofia Koller nennt weitere gute Gründe – und die klingen wirklich nachhaltig. So werden in der EU jährlich 65,5 Millionen Kilogramm Haarabfälle aus Frisiersalons verbrannt statt verwertet – ein Haufen so schwer wie sieben Eiffeltürme. Eine riesige Ressource, die bisher ungenutzt ist.
Haarfasern haben hervorragende Eigenschaften
Haarfasern bestehen aus natürlichen Polymeren und Keratinproteinen mit einem Proteinanteil von bis zu 95 Prozent. Hinzu kommen Wasser, Fette und andere Stoffe. Das macht die Fasern stabil, wärmeisolierend, flexibel, ölabsorbierend und leicht.
Keratinfasern können daher auch eingesetzt werden, um Häuser zu isolieren, Flüsse von Ölteppichen zu befreien, poröse Materialien wie Beton zu verstärken oder um die Holzstäbchen in Duft-Diffusern einzusparen. Weil menschliches Haar beim Zersetzen Stickstoff freigibt, kann es außerdem als natürlicher Dünger verwendet werden, so Kollar. Erst Kleidung, dann Pflanzenfutter.
Das fünfköpfige Start-up, zu dem auch Textil- und Chemieingenieur:innen gehören, arbeitet bereits mit mehreren Modeunternehmen zusammen. Der Plan: Noch in diesem Jahr soll die erste Kollektion auf den Markt kommen.
Wolle aus Menschenhaar ist gröber als Schafswolle
Wie fühlt sich Menschenhaar auf der Haut an? Und wie wird das überhaupt hergestellt? Das enorm-Magazin erklärt: „Kollars Team hat für diese Schritte einen Prozess entwickelt – wie dieser genau aussieht, ist ein Geschäftsgeheimnis. Am Spinnrad wird aus den Haarfasern anschließend ein Faden, genau wie bei Merino- oder Baumwolle. So weich wie diese ist das Material aber (noch) nicht. Das liegt am größeren Durchmesser unserer Haarfasern. Geeignet ist es daher wahrscheinlich eher für Textilien, die aus gröberen Stoffen gefertigt werden und nicht die Haut berühren, etwa Vorhänge und Schuhe. Oder aber als Obermaterial von Mänteln und Jacken, in Kombination mit einem weicheren Futter.“
Fazit: Gut performende und zugleich nachhaltige Materialien sind rar, insofern ist es auf jeden Fall einen Versuch wert!