Recht auf Reparatur? Wie Apple versucht, das neue EU-Gesetz auszuhebeln

Recht auf Reparatur? Wie Apple versucht, das neue EU-Gesetz auszuhebeln 953 375 flustix

HALTUNG MIT BISS

Zum Start der neuen Mehrweg-Angebotspflicht für Essens- und Getränke-Behälter müssen wir nach wenigen Tagen feststellen: Die Sache läuft schleppend an. Das Bemühen der meisten gastronomischen Betriebe, den Kreislauf in Schwung zu bringen, hält sich in Grenzen. Die Nachfrage der Konsument:innen scheint derzeit noch gering. Kein Wunder, wer kauft schon am Hamburger Hauptbahnhof einen Kaffee im Mehrweg-Becher, den er wenige Stunden später in München nicht wieder abgeben kann. Den flustix-Report zum Thema lest ihr hier. Das Fazit verrate ich vorab: Richtiger und wichtiger Schritt, aber es liegen noch viele Meter vor uns.

Im neuen Jahr erwarten wir weitere wichtige Neuerungen. Über die neue Green-Claiming-Verordnung, die den Wildwuchs von ökologischen Slogans („Nachhaltig! Klimapositiv! Mikroplastikfreie Rezeptur!“) regulieren soll, haben wir schon häufiger berichtet (den letzten Stand dazu findet ihr hier). Was 2023 auch noch kommt, ist das Recht auf Reparatur. Ich als gelernter Werkzeugmacher und Kreislauf-Fetischist begrüße diese Entwicklung. Es ist eine Sünde, wenn Waren wegen einer kleinen Macke einfach weggeworfen werden oder ein aufwendig produziertes Smartphone auf dem Müll landet, weil es keine ökonomisch sinnvolle Möglichkeit gibt, einen Akku oder ein Display auszutauschen.

Doch schon jetzt zeichnet sich ab, wie einige Großkonzerne das künftige Recht geschickt, ja sogar frech, umgehen wollen. Eine besonders abstruse Posse liefert Apple dazu ab. Der US-Konzern hat bereits im vergangenen Jahr still und leise einen Self-Service-Reparatur-Store für den europäischen Markt eingerichtet. Dort können Originalteile bestellt, Reparatur-Handbücher gelesen und das notwendige Werkzeug ausgeliehen werden.

Und jetzt wird es absurd. Wer Werkzeug für eine iPhone-Reparatur ausleiht, zahlt dafür nicht nur eine Leihgebühr in Höhe von 59,95 Euro, sondern der muss auch Pfand für das Werkzeug hinterlegen: „In Höhe des vollen Wiederbeschaffungswerts der enthaltenen Werkzeuge.“ Dieser Wiederbeschaffungswert liegt im vierstelligen Bereich: 1.200 Dollar sichert sich Apple in den USA als Autorisierungsbetrag auf der Kreditkarte.

Dafür bringt Logistikdienstleister UPS zwei Werkzeugkoffer ins Haus, die prall gefüllt sind mit Spezial-Tools. Übereinander gestapelt sind die Boxen 1,20 Meter hoch und wiegen stolze 36 Kilogramm. Damit man die Teile überhaupt bewegen kann, hat Apple sie mit Rollen ausgestattet. Wohl gemerkt – mit den Werkzeugen in diesen mobilen Schränken soll ein Jedermann/frau ein iPhone (15 x 7 Zentimeter, 200 Gramm) reparieren. Stelle selbst ich mir, als gelernter Feinmechaniker, tatsächlich herausfordernd vor.

Aber damit nicht genug, es soll bitte auch zackig gehen, wenn ihr schon reparieren wollt: Denkt bitte daran, die Koffer innerhalb von sieben Tagen wieder zurückzuschicken – ansonsten wird der Autorisierungsbetrag abgebucht und ihr seid stolze Besitzer von, ich denke, Feinwerkzeug. Ich weiß zwar nicht genau, was in diesen Koffern alles an Werkzeug steckt. Ich fürchte aber: Für meine Heim-Werkstatt zuhause in der Garage kann ich davon nicht allzu viel täglich gebrauchen, denn ich vermute keinen Akku-Schrauber, Knarrenkasten oder gar eine Kettensäge darin.

Natürlich: Apple wird darauf verweisen, das bevorstehende EU-Recht auf Reparatur schon vor Inkrafttreten umgesetzt zu haben. Glückwunsch! Praxistauglich ist das nicht – ich finde es sogar frech, mit dem Angebot die Verantwortung an die Verbraucher:innen durchzureichen, Transport-Kosten und Transport-Emissionen für einen 36-Kilo-Werkzeug-Tower zu erschaffen, nur damit Apple sich aus der Verantwortung stiehlt, eine weltweite Reparatur-Logistik aufzubauen statt weiterhin Wegwerfprodukte in den Markt zu drücken. Genau durch solch Gauner-Stücke werden Verbrauchende dazu genötigt, eine Reparatur dem Neukauf nicht vorzuziehen. Es wirkt fast so, als wolle der Konzern die EU vorführen: Was ihr da plant, macht keinen Sinn.

An dieser Stelle sind wir künftig alle gefordert: Achtet genau darauf, wie die Konzerne die neuen Verordnungen umsetzen. Denn: Mittelfristig werden alle ein Gespür dafür entwickeln, wer es ernst meint mit der Nachhaltigkeit oder wer nur darauf aus ist, die Zitrone noch weiter auszuquetschen. Seid achtsam!

P.s.: Zum Glück gibt es in Berlin vielerorts gute iPhone-Doktoren!

Herzlichst,
Malte Biss