Sind die Mega-Festivals noch zeitgemäß?

Sind die Mega-Festivals noch zeitgemäß? 1920 768 flustix

Der erste Festival-Sommer ist nahezu rum, die großen Events begeisterten nach zwei Jahren Corona-Pause hunderttausende Musik-Fans. Hurricane, Rock am Ring, Rock im Park, Parookaville, Deichbrand oder das Wacken Open Air – Mega-Events mit ganz unterschiedlichen Zielgruppen, alle mit dem gleichen Problem: Nachhaltigkeit und Festivals, das passt auf den ersten Blick nicht mehr zusammen. Auf den zweiten schon? Unser Autor Carsten Gensing, selbst Festival-Fan (Wacken, Roskilde), blickt hinter die Kulissen.

Auch hart gesottene Metaller haben ein Herz für die Umwelt. Unter dem Hashtag #greenwacken tauschen sich die Fans auf den Social-Media-Kanälen aus, wenn es um Müll geht. Unter den Slogans „Metal 4 nature“ und „Save your holy land“ appelliert die Organisations-Crew: „Damit wir auch in Zukunft und bis in alle Ewigkeit auf grünen Wiesen feiern können, brauchen wir wieder eure Mithilfe. Bitte hinterlasst eure Campingflächen bei der Abreise aufgeräumt.“

Zelte, Tische, Stühle – vieles bleibt auf dem Acker

Wer die gigantischen Campingflächen mal an einem Sonntag nach Festival-Ende gesehen hat, weiß: Solche Appelle verhallen zwar nicht ungehört, aber wenn es darum geht, nach einer mehrtägigen Staub-, Schlamm- und Bierschlacht das völlig eingesaute 30-Euro-Zelt wieder einzupacken, dann fällt eben oftmals die Entscheidung gegen Vernunft und pro Bequemlichkeit. Hunderte Zelte bleiben am Ende auf den Campareas liegen. Genau wie Tische, Stühle, Grills, Schirme, Planen, Sofas, Sessel und sogar Kühlschränke. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun.

Festivalstrom vom Fahrrad-Generator

Ortswechsel von Wacken nach Hamburg-Rothenburgsort. Ein ganz anderes Bild. Im Elbpark Entenwerder findet Ende August das „Futur2Festival“ statt. „Wir wollen den Beweis antreten, dass Kultur, Nachhaltigkeit und Ekstase gut zusammenpassen“, schreiben die Macher:innen auf ihrer Website. Die beiden Bühnen werden energieautark betrieben – die eine von Sonnenenergie, die zweite mit Hilfe der Muskelkraft der Besucher:innen, die auf Fahrrädern in die Pedale treten und so Strom für die Künstler:innen erzeugen. Das Catering nutzt ausschließlich Mehrweggeschirr. Mit Impact: An einem Festivaltag im August 2019 fielen nach dem Aussortieren sämtlicher recyclingfähiger Stoffe insgesamt 100 Kilogramm Müll an. Das ist bildlich ausgedrückt: eine klassische Restmülltonne voll – für den gesamten Abfall von 5000 Menschen.

Wasserstoff statt Dieselaggregate

Von solchen Zahlen sind die großen Veranstaltungen mit hunderttausenden alkoholisierten und ekstatisch feiernden Fans weit entfernt. Sind Mega-Festivals wie Wacken oder Rock am Ring nicht mehr zeitgemäß? Einer, der intensiv nach nachhaltigen Lösungen forscht, ist Jacob Bilabel, Gründer der Green Music Initiative. 

Bilabels Organisation kümmert sich nicht nur um Müllvermeidung, sondern beleuchtet alle Nachhaltigkeits-Aspekte der großen Festivals. Dazu gehört auch der gewaltige Stromverbrauch. Mehrere Millionen Liter Brennstoff würden verballert, um die riesigen Bühnen mit Hilfe von Dieselaggregaten zu betreiben, erklärt er dem TV-Sender VOX. „Eine Lösung sind Wasserstoff-Brennstoffzellen“, so Bilabel. Die ersten portablen H2-Generatoren werden seit Anfang des Jahres getestet und sollen künftig auf Festivals und auf Großbaustellen eingesetzt werden.

Pommes nur noch auf Mehrwegteller

Der Nachhaltigkeits-Profi Bilabel relativiert das Bild des gewissenlosen Festival-Müllferkels. „Festivalbesucher:innen produzierten im Jahr 2019 teilweise deutlich weniger Müll pro Tag und Kopf als der Bundesdurchschnitt“, rechnet er vor. Tatsächlich sind die Änderungen auf den Festivals sicht- und spürbar. Die unvorstellbaren Mengen an Bier werden ausschließlich in Pfandbechern ausgeschenkt. Bei Rock am Ring gibt es Pommes auf dem Mehrwegteller – gegen drei Euro Pfand. Andere Veranstalter:innen nutzen für das Servieren von Speisen recycelte oder essbare Materialien. Außerdem auf der Liste der Festivals: Trockenurinale, Wasseraufbereitungsanlagen, Recycling-Stationen, Spendenaktionen für Zelte, Isomatten und Schlafsäcke.

Gegen manche Gewohnheiten der Fans sind auch die engagierten Organisator:innen machtlos. Eines der am meisten unterschätzten Probleme: Zigarettenkippen. Wie viele Kippen in der knapp einwöchigen Metal-Messe in Wacken anfallen, hat bisher niemand offiziell gezählt. Gehen wir von der offiziellen Quote aus, so rauchen ein Viertel der erwachsenen Menschen in Deutschland. Das wären in Wacken knapp 20.000 Besucher:innen. Rechnet man lediglich zehn Zigaretten pro Kopf (und das ist angesichts der bestehenden Bierlaune vorsichtig gerechnet), kommt man auf 200.000 Zigarettenstummel – am Tag. Macht an vier Festivaltagen rund 800.000 Kippen. Hinzu kommen drei An- und Abreisetage. Es scheint nicht übertrieben, wenn man von einer Million gerauchten Zigaretten ausgeht, die in der knapp einen Festivalwoche auf dem rund 200 Hektar großen heiligen Acker weggequalmt werden.

Wer Kippen wegwirft, wird angeschwärzt

Eine Million Zigaretten? Nehmen wir optimistisch an, dass die Hälfte ordnungsgemäß entsorgt wird, bleiben 500.000 Stummel, die in der Natur landen. Ein wahrhaft giftiges Problem. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat ausgerechnet: Eine weggeworfene Zigarettenkippe verschmutzt rund 40 Liter Wasser.

Mit den Taschen-Aschenbechern eines Tabakproduzenten, die auf dem Festival verteilt werden, lässt sich das Problem allein nicht lösen. Eher schon mit dem Druck der Community. „Was sind hier für Affen unterwegs?“, fragt ein User nur wenige Stunden nach Öffnung der Campingplätze in der Facebook-Gruppe der Wacken-Fans (40.000 Mitglieder), „hier liegen ständig glühende Kippen im Gras, habe allein gestern 12 Stück ausgetreten und im Müll entsorgt.“

Wacken-Chef Thomas Jensen ist stolz auf die wachsende Awareness in der Community. Jensen im Deutschlandfunk: „Wir ziehen alle an einem Strang. Ich stelle mich hier nicht hin und sage: Wacken weiß, wie es geht. Aber Wacken wird definitiv dabei sein, wenn wir lernen, wie es geht.“

Das ist die gute Nachricht: Das Thema ist bei allen Festivals auf der Agenda, Fortschritte sind sichtbar, es gibt Impulse. Ganz allein können es die Festival-Macher:innen es aber nicht schaffen – am Ende haben es die Menschen, die die Veranstaltungen besuchen, selbst in der Hand: Die Verantwortung trägt jede:r von uns.

 

Image Credits: Carsten Gensing