15 FRAGEN UND ANTWORTEN
Unser „Haustier“ ist untenrum schwarz und oben blau. Wenn wir verreisen, muss es von lieben Nachbarn betreut, bewacht und bewegt werden. Es ist unsere Papiertonne. Die wird nämlich nur einmal im Monat geleert. Sollte das ein einziges Mal schiefgehen, werden wir im Pappchaos versinken: Kartons werden sich dann bis unter die Decke stapeln, nach und nach alle Räume fluten und das Messieteam auf den Plan rufen…
Von unserer Autorin Ulrike Seidel
Gefühlt haben wir viel mehr Altpapier als früher – obwohl wir keine Zeitung abonniert haben, am Briefkasten „Bitte keine Werbung“ steht und Kopierpapier bei uns beidseitig bedruckt wird.
Mein Mann, in jungen Jahren sicher ein begnadeter Tetris-Spieler, faltet, knickt und sortiert den Papiermüll regelmäßig so, dass annähernd eine Idealfüllung der Blauen Tonne erzielt wird. Vielleicht führt er sogar heimlich eine Excel-Tabelle. Und trotzdem…
Manchmal sammelt die Schule Altpapier oder die Feuerwehr. Aber als ich anfangs frohlockte und glaubte, wohltätig mehrere Kofferraumladungen Pappe spenden zu können, kam das böse Erwachen: nix da! Die wollen nur allerfeinste Zeitungen.
Gibt es etwa gutes und schlechtes Altpapier? Und landet das nicht eh alles in Afrika? Und recyceln wir etwa so wenig, dass wir sogar Toilettenpapier importieren müssen?
flustix hat das Thema Altpapier mal genauer unter die Lupe genommen – und die 15 wichtigsten Fragen beantwortet.
1. Über wieviel Papier reden wir eigentlich?
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier liegt pro Jahr rechnerisch bei 227 Kilo, davon etwa 105 Kilo in Privathaushalten. 2020 wurden in Deutschland 18,3 Millionen Tonnen Papier verbraucht – und 14,5 Millionen Tonnen Altpapier von privaten und kommunalen Entsorgern eingesammelt. Das ist eine Altpapierrücklaufquote von 79 Prozent.
2. Könnten wir noch mehr Altpapier sammeln, wenn wir uns mehr anstrengen würden?
Nein, etwa 21 Prozent des konsumierten Papiers sind nicht recycling- und sammelfähig, in erster Linie natürlich die Hygienepapiere (Toilettenpapier, Taschentücher etc.). Das gesammelte Papier wird aber in Europa durchschnittlich 3,5 Mal recycelt.
3. Wird unser neues Papier aus Bäumen oder wirklich aus Altpapier gemacht?
Vorwiegend tatsächlich aus Altpapier. Nach Informationen des Umweltbundesamtes wurden im Jahr 2020 in Deutschland 21,4 Millionen Tonnen Papier hergestellt. 79 Prozent der Rohstoffe war Altpapier, insgesamt 16,9 Millionen Tonnen. Hygienepapiere werden zur Hälfte aus Frischfasern und zur Hälfte aus Recyclingpapier hergestellt. Gerade bei Hygienepapieren, aber auch bei anderen Erzeugnissen, könnte der Altpapieranteil noch steigen, wenn die Recyclingvarianten mehr gekauft würden. Recyceltes Papier erkennt man übrigens an den offiziellen und unabhängigen Siegeln, zu denen auch flustix gehört. Was wir da genau machen, steht hier.
4. Reicht das eingesammelte Altpapier, um daraus genug neues Papier zu machen?
Nein, ein Teil der Rohstoffe muss importiert werden! Von Januar bis August 2021 kamen zum Beispiel rund 3,4 Millionen Tonnen Altpapier und 3,0 Millionen Tonnen Holz- und Zellstoff nach Deutschland. Der meiste Zellstoff für die deutsche Papierindustrie kam aus Brasilien, Schweden und Finnland.
5. Wird ein Teil des Altpapiers aus den Blauen Tonnen auch einfach verbrannt?
Nein, dafür ist Altpapier viel zu wertvoll – und meist ohnehin zu knapp. 99,3 Prozent des in Deutschland eingesammelten Altpapiers werden stofflich verwertet, zum Beispiel für die Herstellung von neuem Papier. Abfallprodukte aus der späteren Papierherstellung werden allerdings verbrannt.
6. Ist Recyclingpapier wirklich gut für die Umwelt – oder doch Augenwischerei?
Oft hört man, dass Papierrecycling zwar die Wälder schütze – das war’s aber angeblich auch mit dem Gewinn für Umwelt und Natur. Zu energieaufwändige Prozesse, zu viel Chemie. Das stimmt aber nicht. Das Umweltbundesland ließ die Ökobilanz von grafischen Papieren prüfen – das sind Papiere für Zeitungen und Zeitschriften, Schreib- oder Kopierpapiere. Recyclingpapier gewann gegen das Frischfaserpapier in fast allen Punkten:
- geringerer Holzverbrauch und damit Schonung der Wälder
- weniger intensive Bleiche als bei Frischfaserpapier
- nur 50 Prozent des Energiebedarfs und 15 bis 33 Prozent des Wassers erforderlich
- durchschnittlich 15 Prozent geringere Treibhausgasbilanz
Beispiel: Beim Kauf eines Pakets Druckerpapier (500 Blatt) in Recyclingqualität spart man 5,5 Kilo Holz und 7,5 Kilowattstunden Energie. Damit kann man 525 Tassen Kaffee kochen – und der Baum bleibt auch stehen.
Mit welcher Idee das Start-up PappUp schon vorher in den Altpapierkreislauf eingreift, erfährst du hier.
7. Wird unser Altpapier eigentlich sortiert oder einfach kleingehäckselt?
Es muss sortiert werden, um den richtigen Rohstoff für den richtigen Einsatzzweck zu erhalten und etwa „downcycling“ von gutem Zeitschriftenpapier zu Pappe zu vermeiden. In der Branche gibt es mehr als 60 Altpapierkategorien. Tipp der Entsorger: Das Altpapier bitte möglichst nicht kleinreißen – sonst ist die Sortierung viel schwieriger.
8. Stimmt es, dass unser Altpapier nicht mal für Toilettenpapier reicht und wir das importieren müssen?
„Müssen“ vielleicht nicht, aber Deutschland ist ein großer Player auf dem Papierweltmarkt. Pro Jahr werden in Deutschland 750.000 Tonnen Toilettenpapier produziert – 3,4 Prozent der gesamten Papierproduktion. Jede sechste Rolle wird exportiert.
Genauso viel Klopapier wird aber auch wieder importiert. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Klopapier-Exporteur (nach China) und der zweitgrößte Importeur (nach den USA). Nach Angaben des WWF war Deutschland 2019 der größte Papierimporteur der Welt, gefolgt von den USA, und der größte Papierexporteur der Welt, ebenfalls gefolgt von den USA.
9. Mythos Afrika: Stimmt es, dass unser Altpapiermüll illegal in Afrika landet?
Nein, der afrikanische Kontinent spielt bei unserem Altpapier überhaupt keine Rolle. Jahrelang wurden aber zehntausende Tonnen nach Asien verschifft – besonders nach China, Indien und Thailand. Inzwischen bleibt unser Altpapier in der Nähe. Hauptimporteure für Altpapier aus Deutschland sind seit langem die Niederlande (627.000 Tonnen im Jahr 2021), Österreich (378.000 Tonnen), Frankreich (348.000 Tonnen) und die Schweiz (93.000 Tonnen).
10. Mythos China: Warum hatten wir plötzlich volle Lager und zu viel Altpapier?
Asien stoppte 2018 die Altpapierabnahme aus Europa. China verschärfte die Qualitätsanforderungen für Müll so drastisch, dass diese Regelung einem Importstopp gleichkam. Andere asiatische Länder wie Thailand oder Indonesien mussten nachziehen. Deshalb überschwemmten Millionen Tonnen Papier den europäischen Markt – die Preise sanken dramatisch. Praktisch für die Papierindustrie, aber dramatisch für die Entsorgungsunternehmen.
Mehr über deutsche Müllexporte nach Asien lest ihr hier.
11. Wieviel ist Altpapier eigentlich wert?
Vor der „Asienkrise“ wurde „sortiertes gemischtes Altpapier“ laut Großhandels-Preisindex für 140 Euro pro Tonne gehandelt – Jahresdurchschnitt 2017. Die Preise stürzten ab, im März 2020 wurde die Tonne für gerade mal 13 Euro verscherbelt. Die Entsorgungsbetriebe hatten Probleme, unser Altpapier überhaupt zu lagern und loszuwerden und gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Grund: Die Erlöse deckten in vielen Kommunen gar nicht mehr die Kosten der Sammlung. Im Coronajahr 2021 wurde Altpapier wieder teurer. Der Preis stieg innerhalb weniger Monate rasant an. Jetzt, im August 2022, kostete die Tonne Altpapier 208 Euro, die hochwertigste Sorte (Zeitschriften) wird derzeit sogar für 265 Euro gehandelt.
12. Kann ich mit Altpapier die Haushaltskasse aufbessern?
Hochwertiges Altpapier (meist ohne Kartons) wird tatsächlich wie früher von Wertstoffhöfen angekauft. Pro Kilogramm erhält man derzeit etwa 9 Cent. Das sind immerhin 90 Euro pro Tonne. Wer zum Beispiel in Vereinen, Schulen oder gemeinsam mit den Nachbarn sammelt und einen Wertstoff-hof in der Nähe hat, kann damit Geld verdienen. Am besten vorher recherchieren oder anfragen und Ankaufpreise vergleichen.
13. Was wird aus unserem Altpapier hergestellt?
Die Papierindustrie hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: von der Produktion grafischer Papiere (für Zeitungen, Prospekte) hin zu Verpackungspapieren und –pappen. Beispiel Wellenpapier, das zur Polsterung von Kartons benutzt wird: 2010 wurden in Deutschland 1,6 Millionen Tonnen hergestellt, 2020 waren es schon 4,4 Millionen Tonnen – ein Anstieg um 170,3 Prozent (Destatis).
14. Die Altpapiermenge sinkt, aber die Tonnen quellen über – wie kann das denn sein?
Die Papierart hat sich geändert. Statt Zeitungen, Flyer und Prospekten landen jetzt vorwiegend gebrauchte Versandkartons in der Blauen Tonne. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands Kommunaler Unternehmen e.V. (VKU): „Die Corona-Pandemie hat einen wirtschaftlichen Trend der letzten Jahre nochmals deutlich verstärkt: das rasante Wachstum des Online- bzw. Versandhandels. Die Kartonagen verbrauchen viel Platz in den Sammelbehältern, werden neben die Tonnen gestellt und verzögern den Sammelvorgang.“ Nach Untersuchungen des VKU machen Kartonagen inzwischen einen Volumenanteil von 70 Prozent aus – aber nur 30 Prozent des Gewichts. Die Tonnen quellen also über, bringen aber trotzdem weniger Geld ein als früher.
15. Was gehört alles nicht ins Altpapier?
Um die Papiertonnen zu „schonen“, sollten wir sie nur mit Papier und Pappe füllen. Folgende Dinge gehören nicht ins Altpapier: Windeln, Staubsaugerbeutel, Durchschlagpapier, Backpapier, verschmutzte Papp- und Papierverpackungen, Fotos, Küchenpapier und schmutzige Servietten, Papier-taschentücher, Getränkekartons, Coffee-to-Go-Becher, Kassenzettel, Fahrkarten, imprägnierte Plakate, Muffinförmchen, Hamburger-Verpackungen, verschmutzte Pizzakartons, mit Kunststofflacken oder –folien hergestellte Papiere, Papier mit Klebstoff (Haftnotizen, Adressetiketten, Selbstklebeverschluss bei Kuverts).
Fazit: Um monatlich erfolgreich beim Blaue-Tonne-Tetris zu sein, haben wir folgenden Plan: weiter gut sortieren und stapeln, gute Schuhkartons als Geschenkverpackungen aufbewahren (Weihnachten!), mehrere Online-Bestellungen kombinieren, keine Pappkartons mehr aus dem Supermarkt mitschleppen (Sixpack Hafermilch), Pappe und Papier für Hochbeete oder zum Mulchen im Garten benutzen, Kartons aufbewahren und für Ebay-Verkäufe wiederverwenden. Und: den Nachbarn ab und zu eine Flasche Rosé schenken für ihre „Haustierbetreuung“.