Die neue EU-Verbraucherschutz-Verordnung trifft Verpackungs-Branche

Die neue EU-Verbraucherschutz-Verordnung trifft Verpackungs-Branche 1920 768 flustix

„Da werden sich einige umorientieren müssen“

FLUSTIX-GRÜNDER MALTE BISS IM INTERVIEW

Explodierende Preise für Rohstoffe, eine bedrohliche Energiekrise, ein verändertes Einkaufsverhalten und neue Anforderungen an die Nachhaltigkeit – die Verpackungsindustrie steht vor gewaltigen Herausforderungen. Themen, die auf der kommenden Messe FACHPACK 2022 im Fokus stehen und an jedem Stand Thema sein dürften. Malte Biss, Gründer von flustix, blickt im Gespräch mit Nachhaltigkeits-Autor Carsten Gensing auf das wichtigste Treffen der Verpackungsbranche.

Starten wir mit einer These: Die Zeit der aufwendigen Verpackungen ist hoffentlich bald vorbei. Unverpackt ist sexy. Oder?

So einfach ist das nicht. Die Rolle der Verpackungsbranche wird unterschätzt. Es gibt kaum etwas, was nicht verpackt ist. Verpackungen schützen, sie machen haltbar, informieren und halten sauber. Verpackungen schmücken sogar, was nicht immer hübsch ist. Sie können Spaß bringen, auch sexy sein, den entscheidenden Kaufanreiz geben. Sie können aber auch verärgern, wenn sie überdimensioniert sind oder in der Natur landen. Wir müssen uns verdeutlichen, was Verpackung alles bedeutet. Es geht hier nicht nur um abgepackten Aufschnitt und Käse im Supermarkt, es geht auch um die gesamte Logistik, um Lagersysteme. Auch unverpackte Waren sind irgendwann in der Wertschöpfungskette mal verpackt. Verpackung ist alles. Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft brauchen wir die Verpackungsindustrie, genau wie für das Erreichen der Klimaziele.

Wo liegen die größten Herausforderungen?

Wir erleben gerade einen rasanten Wandel in der Branche. Verpackungen sollen kleiner, leichter und dünner werden. Klar, das klingt erstmal gut. Leider merken wir auch: weniger Material bedeutet teilweise auch eine Verschlechterung der Performance. Wenn die Waren beschädigt werden, weil die Verpackung nicht mehr schützt, dann ist niemandem geholfen. Unser Fokus bei flustix liegt zudem auf der Recyclingfähigkeit: Bei einigen Verbundmaterialien fehlen Mittel und Wege, um die Bestandteile wieder effektiv in den Kreislauf zurückzubekommen.

Was bedeutet das?

Es kann sein, dass wir bei einigen Verpackungen wieder mehr Material einsetzen müssen. Beispiel Lebensmittel: Verpackungen mit unterschiedlichen Komponenten verschlechtern die Chancen, dass die Wertstoffe in der Recyclinganlage die Vorsortierung überstehen. Die Herstellung von Verpackungen aus Monomaterial ist aufwendiger, aber die Recyclingfähigkeit des Materials ist deutlich höher. Da muss man differenziert draufblicken.

Aber brauchen wir angesichts der Klima- und Rohstoff-Krise nicht weniger statt mehr Verpackungen? Wie bewerten Sie den Unverpackt-Trend im Lebensmitteleinzelhandel?

Ich mag den Unverpackt-Trend, aber wir dürfen nicht blauäugig sein. Die Waren werden auch in den Supermarkt gebracht und die Nüsse oder Nudeln liegen ja nicht unverpackt auf dem LKW-Hänger, sondern sind während des Transports sicher verpackt. Es geht nie ohne Verpackung. Nie. Und irgendwie muss es ja von den Kunden nach Hause gebracht werden. Da ist es dann auch wieder verpackt.

Da könnten Mehrwegverpackungen und neue Pfandsysteme helfen

Ja, ich bin ein Fan von Mehrweg-Lösungen. Wir müssen aber das Einkaufsverhalten der Menschen berücksichtigen. Ein Beispiel: Meine Frau hat mal aus einem weiter entfernten Biomarkt Milch in Mehrwegflaschen mitgebracht. Eigentlich eine gute Sache. Aber: Die Flaschen werden nur von diesem einen Markt zurückgenommen. Da wir dort nicht extra hinfahren, stehen die Flaschen jetzt seit sechs Monaten verstaubt in der Garage. Damit ist niemandem geholfen.

Wie sieht denn ein optimales Pfandsystem aus?

Unser Mehrwegflaschen-System in Deutschland gehört zu den weltweit nachhaltigsten Systemen, darum beneidet man uns international. Trotzdem ist es optimierungsfähig. Wieder ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich lebe in der Nähe von Berlin und trinke gern Flensburger Bier. Die Bügelflaschen müssen zur Reinigung und Abfüllung wieder nach Norddeutschland gebracht werden. Wäre das Flens in einer Einheitsflasche, könnte man sich Wege sparen.

Dem Flens würde dann aber sein Plopp fehlen, der Markenkern wäre mindestens beschädigt.

Ja, das stimmt. Aber auch darüber müssen wir diskutieren. Vielleicht ist das eine Kröte, die wir schlucken müssen, um nachhaltiger zu werden. In einigen Bereichen ist das auch gar nicht so schwer. Nehmen wir Mineralwasser. Es macht keinen Sinn, Wasser in Glasflaschen aus Italien nach Berlin zu karren. Das können wir alle selbst beeinflussen: Wasser aus dem Hahn ist super, oder man kauft es am besten regional, wenn man keinen Sprudler hat. Das spart Transportwege.

Zurück in den Supermarkt. Wie bekomme ich künftig meine frischen Lebensmittel nach Hause?

Dafür gibt es keine Patentlösung. Es wird auf eine Koexistenz von unterschiedlichen Systemen hinauslaufen. Das können mitgebrachte Behälter sein, die an der Frischetheke befüllt werden. Oder regionale Pfandsysteme, die im ländlichen Raum innerhalb einer Gemeinde genutzt werden. Am besten sind Mehrweg-Pfandsysteme, die miteinander kompatibel sind und die überall benutzt werden können. Auch dafür gibt es bereits Beispiele, vor allem im Bereich der ToGo-Getränke.

Wiederverwendbare Behältnisse sind häufig schwerer als Einwegverpackungen aus Kunststoff. Spielt das nicht auch eine Rolle?

Natürlich. Wenn jemand mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Rad zum Einkaufen fährt, ist es eben nicht ohne weiteres möglich, alle frischen Lebensmittel und Getränke in Glasbehältern zu transportieren. Aber soll er deshalb das Auto nehmen? Und – was ist mit Reisen? So ehrlich müssen wir sein: Dann ist Kunststoff mitunter die bessere Lösung. Als Beispiel nehme ich dafür gern unser Getränke-Einwegpfand-System. Jemand steigt am Bodensee in die Bahn, kauft sich ein Mineralwasser in der PET-Einwegpfand-Flasche. Die leere Flasche ist leicht, er kann sie auf Sylt wieder abgeben. Das ist nicht die schlechteste Lösung.

Was sind die größten Ärgernisse?

Es gibt immer noch diese Luftnummern, wo Produkte in überdimensionierten Verpackungen angeboten werden, um mehr Masse vorzutäuschen. Insgesamt ist das weniger geworden, da die NGOs hier aufmerksam sind, mitunter Negativ-Preise vergeben. Das wirkt.

Welche Verpackungen sollten ganz verschwinden?

Wir müssen weg von schlecht trennbaren Verbundmaterialien. Getränkekartons aus Verbundstoffen werden als „recyclingfähig“ beworben, das haut nicht hin. Da müsste schon die ganze Familie zusammensitzen und die Häute des Apfelsaftkartons sezieren. Macht wirtschaftlich keinen Sinn. Was sich nicht rechnet, setzt sich nicht durch. Positiv ist, dass bestimmte Verpackungsformen verschwinden: Nudeln im Karton mit einem Sichtfenster. Das braucht kein Mensch. Es reicht, wenn die Nudeln auf den Karton gedruckt sind. Das ist eine Entwicklung, die ich nicht nur im Lebensmittel-Einzelhandel sehe, sondern auch andernorts: Selbst Traditions-Schraubenhersteller SPAX verzichtet sukzessive auf seine Sichtfenster in den Schraubenklartons.

Wie beurteilst du Mehr-Komponenten-Verpackungen, die von den Konsument:innen getrennt entsorgt werden sollen?

Das betrifft beispielsweise Joghurtbecher: Der Becher an sich ist aus Kunststoff, der Deckel aus Alu, die Umverpackung aus Karton. Eine gute Sache, wenn es denn getrennt entsorgt wird. Aber weißt du, wie viele Menschen das tun?

Nein. Ich würde tippen: eher wenige.

Richtig. Anfangs war es jeder fünfte Konsument. Heute mögen es etwas mehr sein. Gehen wir mal von der Hälfte oder sogar 60 Prozent aus, das wäre super – aber dann landen immer noch 40 bis 50 Prozent dieser Dreikomponenten-Verpackungen in der Verbrennung, weil sie nicht getrennt wurden. Trotzdem muss der Weg nicht verkehrt sein. Das ist ein Lernprozess, den die Menschen durchmachen. Die meisten sind bereit dazu und haben Lust mitzumachen. Wie erklären wir, wie man richtig trennt? Natürlich auf der Verpackung. Verpacken ist Kommunikation.

Die relevanten Flächen der Verpackung werden aber eher zu Marketingzwecken denn als Bedienungsanleitung für die richtige Wertstofftrennung genutzt.

Deshalb brauchen wir weit mehr als nur das: breit angelegte Informationskampagnen. Duales System, Grüner Punkt, Gelbe Tonne – was gehört da rein, wie trenne ich richtig? Wann gab es dazu die letzte richtig große Kampagne? Das ist Jahrzehnte her. Ohne diese Kampagnen verkümmert das Wissen darüber.

Wir verlernen wieder, wie man Abfall richtig trennt?

Ja. Ein Beispiel: Als ich Teenager war, kochte gerade das AIDS-Thema hoch. Rock Hudson, Freddie Mercury, Kampagnen für Kondome in allen Medien, auf Plakaten, im TV – das war allgegenwärtig. Es hat gewirkt. Vor einigen Jahren war ich überrascht, als AIDS plötzlich wieder auf dem Vormarsch war, insbesondere bei den jüngeren. Warum? Die Kampagnen waren eingeschlafen und damit auch die Aufmerksamkeit. Wenn wir von den Menschen erwarten, dass sie sich aktiv beteiligen und einbringen, dann müssen wir das kommunikativ begleiten. Wir brauchen eine dauerhafte und erfolgreiche Großkampagne für die Wertstofftrennung. Das schont die Umwelt – und es würde die Recyclingquote bei der Kunststoff-Verwertung verbessern.

Welche Art von Kunststoff-Verpackungen eignen sich gut zum Recycling?

Hochwertiges Monomaterial. Ein Beispiel dafür ist das Verpackungsmaterial von Matratzen. Richtig fest, absolut hochwertiges Material. So etwas ist nicht nur recycelbar, sondern lässt sich auch so noch zweitverwerten, beispielsweise bei Renovierarbeiten zuhause. Oder zum Abdecken von Gartenmöbeln. Das ist bestes Material, welches auch Sinn macht. Die Matratze muss vakuumiert sein, sonst wird der Transport aufwendiger und verbraucht zusätzlich Ressourcen. Außerdem will niemand eine verdreckte Matratze. Da geht es um Hygiene. Eine neue Matratze muss sauber sein.

Aus dem gleichen Grund verpacken die Online-Händler ihre Kleidung in Plastik. Das kann man doch nicht gut finden.

Ja, aber das ist etwas anderes. Hier werden minderwertige Waren oftmals mehrfach verpackt. Es geht damit los, dass jedes einzelne Shirt, irgendwo in Fernost genäht, vor dem Verfrachten in einen Polybeutel gesteckt wird, um es vor Motten, Insekten und Gerüchen zu schützen. Vor dem Versand beim Online-Händler kommt es in eine weitere Tüte, die wiederum in eine Versandtüte kommt. Hier können wir einiges tun. Das Mindeste ist, dass für den Schutz von Textilien recycelte Tüten verwendet werden. Leider fehlt es oftmals an Rezyklaten.

Warum?

Es wird zu wenig recycelt. Wir dürfen eines nicht vergessen: Der Siegeszug des Kunststoffs begann in den 1970er Jahren. Papier und Metall-Recycling gab es damals schon, Kunststoff-Recycling ist hingegen noch sehr jung. Die Recycling-Industrie kommt doch gar nicht hinterher, was die Nachfrage und somit Neu-Produktion angeht. Wir haben bereits einen Mount Everest aus Plastik produziert. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir auch gigantische Mengen recyceln und damit die Neuproduktion eindämmen können.

Im Herbst 2023 erwartet uns eine Verschärfung der Verbraucherschutzgesetze: Die EU plant eine neue Verordnung, nach der ökologische und nachhaltige Versprechungen, so genannte Green Claims, reguliert werden sollen. Hat das Auswirkungen auf die Verpackungsindustrie?

Ja, natürlich! Wir haben es bereits erwähnt: Verpackung ist auch Kommunikation, diese Marketing-Versprechen wie „klimaneutral“, „plastikfrei“ oder „recyclingfähig“ sind in vielen Branchen ganz wesentliche Bestandteile beim Verpackungsdesign. Die EU schätzt, dass mehr als 50 Prozent der Nachhaltigkeitsversprechungen auf Verpackungen irreführend oder sogar falsch sind. Hier sind die Marketing-Abteilungen und die Designer gefragt: Verpackungen müssen neugestaltet werden, denn einfach einen Claim draufpacken und das Ganze dann ein bisschen grün anstreichen, das reicht künftig nicht mehr. Da werden sich einige Inverkehrbringer stark umorientieren müssen, denn da wird es sehr strenge Regeln geben. Zur Erinnerung: Die neue Verordnung sieht vor, dass Versprechungen auch untermauert werden müssen: Wer seine Verpackung als „recyclingfähig“ labelt, der muss das auch unabhängig bestätigen lassen.

Da kommt flustix ins Spiel?

Ja. Wir haben ein völlig unabhängiges System mit lizenzierten Partnern aufgebaut: Dazu gehören DIN CERTCO vom TÜV Rheinland, Einrichtungen wie die Papiertechnische Stiftung sowie akkreditierte Prüflabore der Wessling Gruppe, die weltweit anerkannt sind. Unser Team begleitet die Unternehmen durch den gesamten Zertifizierungsprozess. Die flustix-Siegel bieten deshalb für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für produzierende Unternehmen die größtmögliche Sicherheit. Die flustix-Siegel halten, was sie versprechen, egal ob es um Plastikfreiheit, Recyclingfähigkeit oder den Einsatz von Rezyklaten geht.

Welche flustix-Siegel es gibt, erfahrt ihr hier.

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