Haltung mit Biss
Wir erleben eine Krise, die unsere Sicherheit und unseren Wohlstand bedroht. Wie zahlen wir die nächste Heizungsrechnung? Was passiert, wenn uns im Winter das Gas ausgeht? Fragen, auf die es keine einfachen und erst recht keine befriedigenden Antworten gibt.
Um so wenig wie möglich auf Kohle und AKWs zurückgreifen zu müssen, schlägt Wirtschaftsminister Robert Habeck den Deutschen kürzeres oder gar die kalte Dusche vor, sehr zum Unwillen des konfliktfreudigen Nord-Liberalen Wolfgang Kubicki. Der kontert, er dusche bis er fertig sei. Ich tippe: Kubicki pfeift seit dem Habeck-Apell ein weiteres Lied unter der Dusche an und nimmt sich mehr Zeit als bisher, um seinen Körper zu reinigen.
So ist das mit solchen Appellen. Diejenigen, die erreicht werden sollen, kontern mit: mach du doch erstmal besser! Ein unwürdiges Wechselspiel beginnt. „Fahr‘ doch mal weniger mit dem Auto!“ – „So lange du noch Fleisch isst, fahre ich auch nicht weniger Auto.“
Wir kennen das aus der eigenen Kindheit: Der erhobene Zeigefinger und Ratschläge mit anweisungsähnlichem Charakter kommen ganz schlecht an.
Noch schlimmer ist es, wenn sie von Menschen erteilt werden, die selbst keine Verantwortung übernehmen. So fühlt es sich auch an, wenn ich von Ben van Beurden lese. Das ist der niederländische CEO des Mineralöl- und Erdgas-Giganten Shell. Der Konzern sorgte vor wenigen Tagen mit einem neuen Rekordgewinn für Schlagzeilen. 17,1 Milliarden Euro klingelten in den Kassen des Öl-Riesen. Die Rekordgewinne erfreuen vor allem Shell-Chef van Beurden selbst. Er verdoppelte sein Gehalt und erklärte sich und sein Unternehmen vor wenigen Tagen quasi für nicht zuständig, wenn es um mehr Klimaschutz und die Energiewende geht. „Das Angebot muss sich anpassen“, erläuterte van Beuren und legte nach: „Aber es muss sich anpassen an eine geringere Nachfrage.“ Ich übersetze: So lange die Menschen Öl wollen und nachfragen, so lange liefert Shell auch Öl. Den Anfang sollen gefälligst die anderen machen.
Aus unternehmerischer Sicht mag das in Ordnung sein. Aber wer macht jetzt den ersten Schritt? Shell? Nein, der Konzern fühlt sich nicht zuständig, schließlich verlangt die Welt nach Öl und Gas. Die Verbraucher:innen? Nein, so lange es noch Warmwasser gibt, wollen die meisten auch nicht freiwillig kalt duschen. Die Politik? Nein, denn die fürchtet, zwischen die Stühle zu geraten und weiß nicht, ob überhaupt und wenn dann, ob sie erst der Wirtschaft oder den Haushalten das Gas abdrehen soll, wenn es denn knapp werden sollte.
Merkt ihr, um was es hier geht? Wir scheuen Verantwortung. Natürlich, denke ich, ich habe keinen Einfluss auf das, was Shell macht. Aber in meinem eigenen Haushalt, da bin ich mein eigener CEO, auch wenn meine drei Töchter deshalb noch längst nicht auf mich hören. Der erhobene Zeigefinger funktioniert da gar nicht.
Eine kleine Anekdote. In Sachen Mülltrennung bin ich ein Pedant. Also habe ich auch meine Töchter mit Nachdruck angewiesen, jede Recycling-Verpackung nochmals in ihre unterschiedlichen Bestandteile zu zerlegen. Die Reaktion? Trotzig. Sie fingen sogar an, mich zu foppen und versenkten mutwillig Einwegpfandflaschen in der Gelben Tonne. Um sich dann darüber zu amüsieren, wie ich die wertvollen Rohstoffe wieder aus der Tonne fischen musste.
Ich versuchte es anders. Mit Erklärungen, mit Empathie, mit gemeinsamen Erlebnissen. Irgendwann trugen wir den ersten aus unserem eigenen Biomüll produzierten Kompost auf unsere Beete auf. Es entwickelte sich eine Eigendynamik. Inzwischen sind wir Verbündete, wenn es um Mülltrennung und Wiederverwertung geht.
Bündnisse – die brauchen wir auch auf gesellschaftlicher Ebene. Nur als Verbündete erreichen wir etwas. Gemeinsam. Vielleicht sollte Habeck mal einen Social-Media-Post aus der kalten Dusche senden und Wolfgang Kubicki darin taggen. Mal sehen, ob er sich dann nicht vielleicht doch ein wenig mehr beeilt. Und der Shell-Chef? Der verdient auf lange Sicht weniger, wenn wir uns beim Duschen beeilen. Ihr seht, man hat doch eine ganze Menge selbst in der Hand.