Anti-Greenwashing-Gesetz: Kommt bald das Aus für falsche Öko-Versprechen?

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Klimafreundlich und nachhaltig – was genau ist das eigentlich? In Deutschland darf nahezu jedes Produkt und jede Dienstleistung mit grünen Slogans beworben werden, ganz egal, ob es einen Impact für die Umwelt gibt. Damit ist bald Schluss: Die EU arbeitet an einem Anti-Greenwashing-Gesetz. Das wird auch Zeit. Denn die grünen Versprechen einiger Unternehmen sind oftmals nicht nur haltlos, sondern auch noch dreist.

Von Carsten Gensing

Heizöl, Kuhmilch, Flugreisen, Kaffeekapseln und Hähnchenbrustfilet besitzen mitunter einen ungewöhnlichen gemeinsamen Nenner – viele rühmen sich mit Klimaneutralität. Zumindest suggerieren das die Werbeslogans einiger Anbieter dieser Produkte und Dienstleistungen. Dabei sagt uns schon der gesunde Menschenverstand: Beim Verfeuern von Heizöl entstehen Emissionen. Auch Flüge, die Herstellung von Einwegkapseln aus Kunststoff oder gar konventionell produziertes Geflügelfleisch verursachen große Mengen an Treibhausgasen und eignen sich deshalb ganz sicher nicht als Werbeträger für klimaschonende Maßnahmen.

Umwelthilfe spricht von Ablasshandel

Umweltbezogene Werbung ist nicht mehr wegzudenken aus unseren Supermarkt- und Drogerieregalen. Dabei geht es nicht nur um Klimaneutralität. Auch die Recyclingfähigkeit von Verpackungen, der Recyclinganteil in Kunststoffprodukten und -Verpackungen und der angebliche Verzicht auf Mikroplastik in Kosmetika oder Hygieneartikeln werden massiv beworben. Das Problem: in längst nicht allen Fällen gibt es transparente Nachweise für die Versprechungen.

Im Gegenteil. Im Mai dieses Jahres mahnte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mehrere Unternehmen ab und forderte sie auf, Werbung mit nicht belegbaren Slogans zu unterlassen. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch sprach von einem „CO2-Ablasshandel, mit dem sich Unternehmen grün waschen“. Am Pranger der Umwelthilfe: prominente Unternehmen wie Beiersdorf, Shell, BP sowie die Drogerieketten dm und Rossmann.

Ausgleichs-Bäume für Holzindustrie 

Die Unternehmen wehren sich, verweisen u.a. auf das Investment in Ausgleichsprojekte. Zu den prominentesten Anbietern solcher CO2-Ausgleichszertifikate gehört der Dienstleister Climate Partner. Das Unternehmen vermittelt Projekte, in die Unternehmen entsprechend ihrer Emissionen investieren können. 

Dafür erhalten die Emissionsverursacher grüne Zertifikate. Die Rechnung: Produziere Milch in Deutschland und pflanze Bäume in Südamerika – dann neutralisiert sich der CO2-Fußabdruck und fertig ist das Klima-Zertifikat, was den Verbraucher:innen ein gutes Gefühl beim Einkauf vermittelt.

Problem: die Rechnung geht nicht auf. So verweist Aldi Süd als Ausgleich für seine als klimaneutral gelabelte Kuhmilch auf Baumpflanzungen in Uruguay. Ein Reportage-Team des ZDF-Magazins „Frontal 21“ reiste in die genannte Region und fand dort eine Plantage vor, auf der tatsächlich Eukalyptusbäume gepflanzt wurden. Allerdings handelt es sich nicht um ein Projekt, mit dem der für die Viehhaltung niedergemetzelte Urwald wieder belebt wird – sondern um eine industrielle Holzplantage. Die dort geschlagenen Stämme, so heißt es in dem ZDF-Report, werden nach Asien exportiert oder gehen in die Papierindustrie.

Foodwatch verpasst Rewe Negativ-Preis 

Die Kreativität, was alles Klimaneutral-Label tragen kann, kennt keine Grenzen. So brachte Rewe im vergangenen Jahr ein Hähnchenbrustfilet auf den Markt. Dabei ging es nicht um eine klimaschonende Tierhaltung- oder spezielle Fütterung. Das verarbeitete Geflügel stammte aus konventionellen Mastbetrieben mit der zweitschlechtesten „Haltungsform 2“ und wurde in der Schlachterei der PHW-Gruppe („Wiesenhof“) zerlegt. Die gewissensberuhigende Klimaneutralität entpuppte sich als reines Rechenexempel mit Hilfe von Climate-Partner-Zertifikaten. Die Organisation Foodwatch mahnte die Handelskette ab, deckte zudem auf, dass das geförderte Waldprojekt im mehr als 10.000 Kilometer entfernten Peru mindestens in den ersten Jahren nur auf dem Papier existierte. Im Februar verschwand das Klimaneutral-Label wieder von den Verpackungen. Einziges Überbleibsel: Rewe ist seitdem Träger des Foodwatch-Negativ-Preises „Goldener Windbeutel“ für die dreisteste Werbelüge des Jahres 2021.

Aus Meeresplastik wird „Ocean Impact Plastic 

Doch nicht nur große Konzerne und Handelsketten missbrauchen das steigende Bewusstsein der Menschen für Klima- und Tierschutz. Auch Start-ups nehmen es mitunter nicht so genau, wenn es um das Bewerben guter Taten geht. So deckte das Investigativ-Recherche-Kollektiv „Flip“ vor wenigen Wochen auf, dass die Taschen des erfolgreichen Rucksack-Herstellers „Got Bag“ gar nicht aus „100 Prozent recyceltem Meeresplastik“ produziert werden. 

Zudem sei die ökologische Effizienz der Herstellung mehr als fraglich. Kommentar eines Textilforschers im Report, der in der ZEIT veröffentlicht wurde: „Warum muss ich in Deutschland einen Rucksack aus indonesischem Plastik haben, das in China recycelt wurde? Wir haben hier selbst genug Plastikabfall.“ Das Unternehmen bezeichnet die verwendeten Rohstoffe mittlerweile nicht mehr als „Meeresplastik“, sondern schreibt von „Ocean Impact Plastic“ – was immer das auch sein mag.

Flut an Mikroplastikfrei-Siegeln auf Kosmetik 

Von Meeresplastik zu Mikroplastik: Auch das Thema ist in Form von diversen Siegeln und Slogans allgegenwärtig, vornehmlich im Drogerieregal. Weil die Vorstellung, sich bei der Körperpflege mikroskopisch kleine Kunststoffpartikel zwischen die Zähne oder ins Gesicht zu schmieren äußerst unangenehm ist, greifen Verbraucher:innen gern zu als „mikroplastikfrei“ ausgezeichneten Produkten. Allerdings, so prangerte das Wissensmagazin „Galileo“ im Frühjahr 2022 an, seien einige Siegel weder transparent noch unabhängig lizenziert. Die Autor:innen des Reports empfehlen stattdessen das unabhängige flustix-Siegel “Produktinhalt ohne Mikroplastik”.

EU plant Anti-Greenwashing-Verordnung 

Seit Ende März liegt nun der Entwurf für die Anti-Greenwashing-Verordnung der EU vor. Die Umsetzung ist für September 2023 geplant. Vorbild ist die EU-Health-Claim-Verordnung, die seit 2006 Aussagen zu Ernährung und Gesundheit reguliert. Die neue Green-Claim-Verordnung stützt sich auf vier grundlegende Maßnahmen mit konkreten Auswirkungen auf den Wildwuchs beim Greenwashing.

Schluss mit Selfmade-Siegeln

Ein hübsches Siegel entwerfen und das auf die hauseigene Handelsmarke kleben – das soll künftig nicht mehr möglich sein. So untersagt die Verordnung die „Verwendung unzuverlässiger und nicht transparenter Nachhaltigkeitssiegel“. Stattdessen soll der Siegel-Dschungel gelichtet werden. Zertifizierungen unterliegen dann ökologischen Mindeststandards, die nicht mehr von den Unternehmen selbst definiert werden. Bereits heute gibt es solche Siegel. Das EU Ecolabel gehört dazu. Auch flustix ist als unabhängiges Siegel anerkannt: Soll ein Produkt als „mikroplastikfrei“ deklariert werden so muss es sich bei einem akkreditierten Labor analysiert werden und die Ergebnisse werden von einem unabhängigen Zertifizierer überprüft. Unabhängige und akkreditierte Partner von flustix sind DIN CERTCO / TÜV Rheinland und die Wessling Gruppe.

Schluss mit ungeprüften Öko-Versprechen

Das kennen wir aus Online-Shops: Ein Kleidungsstück wird zusätzlich mit „nachhaltig“ beworben. Was genau daran nachhaltig ist, bleibt das Geheimnis des Online-Händlers. Künftig gilt „ein Verbot allgemeiner Umweltaussagen, die bei der Vermarktung an die Verbraucher verwendet werden, bei denen die hervorragende Umweltleistung des Produkts oder Unternehmers nicht (…) nachgewiesen werden kann“.

Verbot von ungestützten Absichtserklärungen

„Klimaneutral bis zum Jahre 2040“ – das ist schnell behauptet und wird gern ins Schaufenster der Unternehmen gestellt, ohne einen Plan aufzuzeigen, wie die Umsetzung erfolgt. Die neue Verordnung soll sicherstellen, dass „ein Unternehmen eine Umweltaussage über die künftige Umweltleistung nur treffen kann, wenn sie klare Verpflichtungen enthält“. Wer eine Klimaneutralität zu einem bestimmten Zeitpunkt bewirbt, muss auch die Maßnahmen offenlegen, mit denen das Ziel erreicht werden soll.

Das Ende für den Wolf im Schafspelz

Mit verminderten Emissionen auf einer Milchpackung werben und im Kleingedruckten aufklären, dass es gar nicht um die Milch, sondern um die Verpackung gehe – dieser Fall landete vor zwei Jahren vor Gericht. Der Konzern Arla hatte mit dem Aufdruck „-71% CO2“ auf der Verpackung für seine Weidemilch geworben, die Organisation Foodwatch klagte – und verlor. Das Gericht hielt die unscheinbare Erklärung auf der Rückseite für ausreichend. Das ändert sich mit der neuen Verordnung, denn die enthält ein „Verbot einer Umweltaussage zum gesamten Produkt, wenn sie sich tatsächlich nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts bezieht“. Damit wäre der Wolf im Schafspelz enttarnt.

Die Deutsche Umwelthilfe will so lange nicht warten, sie behält etwaige Verstöße im Auge. Agnes Sauter, Leiterin des Bereichs Ökologische Marktüberwachung der DUH: „Echter Klimaschutz ist nur möglich, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher eine ehrliche Information über die Klimaschädlichkeit einzelner Produkte oder Dienstleistungen erhalten. Schönfärberei mit vermeintlicher Klimaneutralität werden wir als klagebefugter Verbraucherschutzverband konsequent einen Riegel vorschieben.“

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