Die Nervensäge der Nation hat uns zum Weltmeister im Einwegpfand gemacht

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HALTUNG MIT BISS

Wenn es um PET-Flaschen geht, sind wir Weltmeister. 25 Cent gibt es pro Flasche, da bleibt nichts liegen. Die Rückgabequote liegt bei mehr als 97 Prozent. Das recycelte Material ist sortenrein und begehrt wie warme Brötchen: Folienhersteller, Textilhersteller und andere Branchen reißen sich um die ollen Flaschen, erhöhen damit ihre eigenen Recyclingquoten. Ähnliche Zahlen gelten für Getränkedosen. Das Weißblech ist mindestens genauso wertvoll und nachgefragt. Vater dieses Erfolges ist eine politische Nervensäge. Wenn er das Wort ergriff, fing selbst die sonst so besonnene Angela Merkel an zu pöbeln…

Rückblende. Deutschland Anfang der 2000er Jahre. Zerknüllte Coladosen verschmutzen Parks und Wälder oder rosten in Gewässern vor sich hin. Vor Fußballstadien und Konzertarenen türmen sich Berge leerer Bierdosen, auf den Gehwegen fliegen die scharfkantigen Aufreißlaschen umher. Die Dose ist ein Symbol der Wegwerfgesellschaft. Billig, bequem, überall erhältlich, bei Biertrinkern hat sie Kultstatus.

Und dann kommt da einer und sagt: Schluss damit. Ich spreche von Jürgen Trittin. Der grüne Umweltminister der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder greift das auf, was die schwarz-gelbe Regierung bereits 1991 unter dem damaligen Umweltminister Klaus Töpfer beschlossen, aber nie umgesetzt hat: das Dosenpfand.

Der Gegenwind ist gewaltig. Die Union, der Handel und Getränkeproduzenten laufen Sturm gegen die Verordnung. Es hagelt Klagen und Beschimpfungen. CSU-Chef Edmund Stoiber pöbelt: „Diesen Chaos-Minister hat Deutschland nicht verdient!“ Und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, vormals selbst Umweltministerin, schimpft: „Der Schwachsinn kennt an dieser Stelle keine Grenzen.“

Trittin lässt sich nicht beirren. Er steckt alle Schläge weg. Als Nervensäge der Nation prügelt der Grüne das Dosenpfand durch die Institutionen. Nach jahrelangem Hin und Her, unterschiedlichen und verwirrenden Regelungen tritt am 1. Mai 2006 eine einheitliche Pfandpflicht in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt ist Jürgen Trittin nicht mehr im Amt.

Warum ich euch das erzähle? Man muss Jürgen Trittin nicht mögen. Aber: Ihm gebührt Anerkennung und Respekt für die Durchsetzung einer Maßnahme, die heute dafür sorgt, dass uns die Welt beneidet – um unser Pfandsystem.

Aktuell haben wir Urlaubszeit. Ein Blick nach Italien. In Supermärkten stapeln sich Millionen von Mineralwasserflaschen aus Plastik. Weniger als jede zweite Flasche wird recycelt. In Frankreich sind es knapp über 50 Prozent. Zum Vergleich: Dank des einheitlichen und lukrativen Pfands in Höhe von 25 Cent erreichen wir in Deutschland eine Recyclingquote von mehr als 97 Prozent. Das ist unschlagbar. Wir sind Pfand-Weltmeister.

Für mich hat das Vorbild-Charakter. In zweierlei Hinsicht: Ich schätze das Durchhaltevermögen von Jürgen Trittin. Und ich halte das System Pfand für eine der Säulen, auf denen eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft wachsen kann. Pfand ist immer lukrativ, deshalb müssen wir es auch in anderen Sektoren einführen. Im Food-Bereich sind bereits gute Ideen umgesetzt: Coffee-To-Go-Becher, Frischeverpackungen für Lebensmittel von der Frischetheke, Mehrweg-Schüsseln für Convenience-Food (z.B. Bowls).

Next step: Smartphones. Bis zu 200 Millionen alte Smartphones lagern in deutschen Haushalten, schätzt der Branchenverband Bitkom. In jedem einzelnen stecken Akkus, die neben Gefahren auch Recycling-Potenzial haben. Wenn die Hersteller für jedes neue Smartphone 25 Euro Pfand zusätzlich in Rechnung stellen, wird die Rückgabe-Quote ähnlich hoch sein wie bei PET-Flaschen. Wetten?

Nun braucht es noch eine echte Nervensäge, die die Veränderungen vorantreibt.