Experteninterview: Dr. Ilka Peeken findet Plastik im Eis der Arktis
FLUSTIX: Was haben Sie in der Arktis vorgefunden und wie sehr haben Sie die Ergebnisse geschockt, wie schlimm ist das Ausmaß?
Dr. Ilka Peeken: Wir haben im arktischen Meereis so viel Mikroplastik wie nie zuvor gefunden. Die meisten Partikel waren jedoch kleiner als ein zwanzigstel Millimeter. In den Eisproben aus fünf verschiedenen Regionen des Arktischen Ozeans fanden wir zwischen 1000 und mehr als 12.000 Mikroplastik-Teilchen pro Liter geschmolzenes Meereis. Die Plastikzusammensetzung in den Eiskernen weist auf lange Transportwege aus dem atlantischen sowie dem pazifischen Ozean hin.
Eine neue Messmethode kann kleinste Plastikrückstände analysieren
FLUSTIX: Wie war es Ihnen möglich so exakt zu messen, gibt es eine neue Messmethode?
Dr. Peeken: Im Gegensatz zu vorherigen Studie im Meereis, wo die Filterfläche mikroskopisch untersucht wurde und nur die Partikel, die für Plastik gehalten wurden, mit Hilfe der Fourier-Transform-Infrarot-Mikroskopie (FTIR) weiter bestimmt wurden, haben wir mit dem Imaging FTIR, ganze Bereiche der Filter gescannt. Dadurch wird der menschliche Fehler minimiert, der durch die visuelle Auswahl der Partikel entstehen kann. Das hier verwendete Verfahren der Imaging FTIR umfasst den, am meisten Information enthaltenen Infrarotbereich des Spektrums, von Beginn an. Mit dieser Messung sind wir somit in der Lage, alle Partikel zu erfassen und es erlaubt uns insbesondere die Detektion von sehr kleinen Partikeln (bis hinunter zu 11 um).
FLUSTIX: Welche Wirkungen haben die unterschiedlichen Plastiken/ Größen auf unsere Umwelt und Tierwelt?
Dr. Peeken: Grundsätzlich können und werden Plastik-Partikel mit der Nahrung „verwechselt“ und so je nach Größe von den Organismen aufgenommen. Dies kann, insbesondere bei dem noch kleineren Nanoplastik Partikeln Reaktionen wie Entzündungen bis hin zu Verhaltensänderungen bei Fischen führen. Andere Studien belegen aber auch, dass die Partikel so wieder ausgeschieden werden. Es gibt auch Studien, die aufzeigen, dass sich auf Mikroplastik Toxine anreichern, die schädlich für die Tiere sein können, die dies zu sich nehmen. Insgesamt hat die Verschmutzung mit Plastikmüll vermutlich weitreichende Konsequenzen für die marinen Ökosysteme und damit für den Menschen. Eine genaue Abschätzung der tatsächlichen Folgen kann zurzeit aber noch nicht gegeben werden.
Mikroplastik und Nanoplastik löst Entzündungen aus
FLUSTIX: Ihre Subjektive Einstellung: Wo endet das ganze Desaster, wenn wir nicht jetzt anfangen zu handeln?
Dr. Peeken: Ich würde es eher positiv formulieren, die Menschheit hat das Problem erkannt und ist durchaus noch in der Lage darauf zu reagieren und das Desaster zu verhindern. Dies kann allerdings nur passieren, wenn es auch als globales Problem erkannt wird und umgehend dort investiert wird, wo der höchste Eintrag ist.
FLUSTIX: Warum müssen auch wir hier in Deutschland und Europa unserem Umgang mit Plastik neu überdenken?
Dr. Peeken: Jedes Teil, was nicht im Ozean landet ist gut und daher sollte jeder Verbraucher dazu beitragen. Und eben diese Information muss genau so kommuniziert werden. Trotzdem müssen wir global denken und das Problem weltweit angehen. Das bedeutet unter Umständen auch dort zum Umdenken bewegen, wo derzeit am meisten Plastik in die Weltmeere gelangt. Nur, wenn wir hier nicht anfangen, wird sich dort auch wenig bewegen.
FLUSTIX: Wie denken Sie bekommen wir das Thema in den Griff?
Dr. Peeken: Es muss allen klar werden, dass wir so nicht weiter machen können weil wir ein Produkt herstellen, benutzen, das leider nicht „verrottet“. Das heißt der Verbraucher sollte sein Konsumverhalten überdenken und die Nutzung und den Umgang mit z.B. Zigarettenkippen, Einkaufstüten, verpacktem Obst und Gemüse, Fleece-Jacken, und viele Produkte mehr überdenken. Dazu muss der Verbraucher noch mehr informiert und integriert werden in die Beseitigung des Problems (z.B. Strand bzw. Stadt räumt auf Aktionen). Gleichzeitig sollten den Verbrauchern aber auch mehr Zugang zu weniger bzw. abbaubar verpackten Waren eingeräumt werden, was vermutlich nur durch politische Intervention erreicht werden könnte und wo die entsprechenden Industrien gefragt sind. Eine verlässliche und institutionell untermauerte Kennzeichnung ist da durchaus sinnvoll.
Auch der Verbraucher ist bei der Plastikvermeidung gefragt
FLUSTIX: Welche Chance bietet Recycling und Kreislaufwirtschaft?
Dr. Peeken: Gerade der vor kurzem in der Zeit veröffentlichte Artikel macht deutlich, dass das „vermeintliche“ Recycling auch zu einem unkritischen Umgang mit Plastik, vor allem bei uns in Deutschland führt, wo wir uns keine Gedanken darüber machen, was mit dem Plastik passiert, wenn es erst mal im gelben Sack steckt. Daher würde ich gegenwärtig der Vermeidung von Kunststoff-Produkten, bzw. dem Einsatz von natürlich abbaubaren Produkten, eine höhere Priorität einräumen. Grundsätzlich wird Plastik aber ja auch aus einen nicht nachwachsenden Rohstoff hergestellt, so dass ein Recycling dieses Produktes allein aus diesem Grunde bereits unumgänglich ist. Sinn macht das Recycling aber auch nur, wenn die neue Produktion nicht den zu recycelnden Anteil übersteigt.
Auch für die Wissenschaftlerin ist klar: der Plastikverbrauch muss gesenkt werden
Dr. Ilka Peeken ist Meeresökologin, geboren 1962 in Wittmund. Sie studierte Meeresbiologie an der Universität Kiel und promovierte dort 1997 zum Thema „Pigmentbiomarker als Indikatoren pelagischer Prozesse in polaren Regionen“. Nach einem Auslandsaufenthalt am Scripps Institution of Oceanography in La Jolla, USA, arbeitete Peeken am IFM-GEOMAR in Kiel sowie am MARUM – Centre for Marine Environmental Sciences in Bremen. Seit 2013 beschäftigt sich Peeken mit der Ökologie und Biogeochemie von Meereis am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.